Ein-Personen-Stück zu zweit: Philipp Nicklaus und Marta Klimasara in Jörg Behrs Inszenierung. Foto: Christoph Kalscheuer Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Nicht nur die Bühne, auch die Treppen, auf denen die Zuschauer sitzen, gehören zum Strand am Meer. Muscheln, Sand, Steine, Dünengras, aber auch Zivilisationsmüll wie bunte Plastikflaschen bringen Atmosphäre in den Spielraum von Line Sexauer; und schon im Foyer wird vor der Vorstellung ein Teil des jungen Publikums in sandfarbenen Kapuzenshirts in Wellenbewegungen eingeübt. Jedes Mal, wenn Jakob den Fisch herbeiruft, um ihm wieder einen seiner Wünsche zur Erfüllung aufzutragen, sollen sie die Ruhe oder den Aufruhr des Meeres mit ihren Armen evozieren. Dass dies auf einer Video-Stellage zugleich auch noch fotografisch abgebildet wird, ist fast unnötig. Denn Jörg Behrs Inszenierung von Leonard Evers’ „Gold“ setzt auf die Phantasie vor allem der jungen Zuschauer. „Musiktheater für alle ab acht Jahren“ steht auf dem Flyer, der ein Goldstück in Fischform als zentrales Motiv darstellt.

Rampe ins Irgendwo

Für das Dutzend Vorstellungen ist die Junge Oper, deren Produktionen sonst im Kammertheater stattfinden, diesmal ins Nord des Schauspiels Stuttgart gezogen. Am Bühnenrand sind die Percussion-Instrumente der Schlagzeugerin Marta Klimasara postiert, hinten führt eine Rampe in ein manchmal beleuchtetes Irgendwo, gegen Schluss der einstündigen Aufführung rotiert sogar die Drehbühne. Die Autorin Flora Verbrugge und der Komponist Leonard Evers haben aus der Vorlage von Philipp Otto Runges Märchen „Von dem Fischer un syner Fru“ ein poetisches und auf einfache Art tiefsinniges Kinderstück über das Glück geschrieben. Es ist eigentlich ein Ein-Personen-Stück, obwohl die Musikerin an einigen Stellen kurz eine Rolle übernimmt. Doch im Wesentlichen ist Marta Klimasara die phantasievolle Klangräume erzeugende Partnerin von Philipp Nicklaus, der als Tenor in bedeutsamen Momenten aus seiner Sprecherrolle zum Singen kommt. Wenn er mit Rucksack, kleinem Koffer, Handy und Kopfhörer auftritt und sich barfuß in den Sand setzt, assoziieren Vibraphonklänge das Meer und die Einsamkeit, beim Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel streicht Klimasara mit dem Bogen Töne aus den Zymbalbecken und bewegt die silbernen Klangstäbe.

Schrumpfender Wunschfisch

Bei der ersten Begegnung mit dem Fisch - Jacob angelt ihn als schimmerndes Flaschenobjekt mit Plastikflossen - wechselt Nicklaus vom Sprechsänger ins Ariose, doch bleibt auch dabei der Gesangsstil einfach und natürlich. Ein Fisch, der alle Wünsche erfüllt: Schuhe, ein Haus, ein Schloss mit Personal, Reisen zum Freizeitpark, zum Südpol und auf den Mond, „die ganze Welt für uns Drei!“: Es ist vor allem die Gier der Eltern, die von Jacob mit Teddybär und Parka figurentheatermäßig ins Spiel gebracht werden, welche das Wünschen ins Unermessliche steigert und das Meer immer bedrohlichere Wellen schlagen lässt. Auf einem Sandhaufen nehmen die Besitztümer symbolische Gestalt an, doch machen sie die Familie nicht glücklich, und der Wunschfisch schrumpft dabei immer mehr. Erst in der Katastrophe, als das Meer über den Strand bricht, die Drehbühne rückwärts fährt und Jacob die Trümmer in einen Müllsack sammelt, wird ihnen bewusst, dass sie das Wichtigste besitzen, um glücklich zu sein: ihre Zusammengehörigkeit.

Weitere Aufführungen bis 28. Januar und im Juni/Juli.