Verdammt gut drauf: Wolfgang Niedecken. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - 40 Jahre BAP. Es war ein langwieriger und steiniger Weg vom Kölner Chaoten-Kollektiv zum deutschlandweit anerkannten Aushängeschild rheinischer Rockmusik. Andere würden weinerlich zurückblicken: Wo ist nur die Zeit geblieben? Nicht so Wolfgang Niedecken. Der Blick des 65-jährigen Gründers geht nach vorn, die Rente wird warten müssen. Nach dem Akustik-Ausflug „BAP zieht den Stecker“ wird jetzt der Bogen wieder zur Kölschrockband geschlagen. Und das ist gut so.

Kracher und Liebeslieder

Das Konzert in der Stuttgarter Porsche-Arena ist ziemlich hitlastig. Fans, die einen großen Teil der langen Reise mitgemacht haben, finden sich in den beliebtesten Klassikern wieder. Der Mix bietet fast alles, was man sich wünschen kann. Lautes und Leises, Kracher und Liebeslieder. Aber auch die Band findet sich in Hymnen wie „Verdamp lang her“ wieder, weil der Gassenhauer von 1982 als roter Faden betrachtet werden kann und die Arena so herrlich zum Kochen bringt: ein Stück Soundtrack des Lebens, auch für viele Fans.

Ins Programm integriert ist natürlich auch das 18. Studioalbum „Lebenslänglich“. Das besinnliche, facettenreiche Songwriter-Werk, das von Niedeckens ewiger Liebe zu Bob Dylan durchzogen ist, klingt erdig und warm. Live beeindrucken Songs wie die autobiografische Ballade „Alles relativ“ und das politische „Vision von Europa“ noch mehr als auf Platte. Vom passend betitelten „Lebenslänglich“ schaffen es sieben unter die sage und schreibe 29 Nummern der Setliste.

Es ist wahrlich ein abendfüllendes Konzert. Dreieinviertel Stunden, drunter machen es BAP diesmal nicht. Das ist echte Arbeitermentalität, eingeimpft wohl von Niedeckens Vater. Doch der Auftritt ist nicht nur lang, er ist brillant, dramaturgisch perfekt und mitreißend. Fast wie immer - und dennoch immer neu. BAP haben schon immer und gerne lange gespielt, weil es ihnen einfach Spaß macht. Das spürt man in der Porsche-Arena in jeder Sekunde. Den sieben Bandmitgliedern Spielfreude zu attestieren ist bei weitem untertrieben. Vom Können her spielen sie alle in der Champions League und würden selbst in Bruce Springsteens Truppe reüssieren.

Die neue Combo, die sich wieder „Niedeckens BAP“ nennt wie ganz am Anfang und die beste seit Bandgründung ist, funktioniert als kreative Einheit. Trotzdem ragen zwei Musiker heraus. Ulrich Rode, erst seit zwei Jahren dabei, spielt die Gitarrenparts seiner Vorgänger mit traumwandlerischer Sicherheit. Für sein gefühlvolles Intro zu „Jupp“ bekommt er Szenenapplaus, später liefert er sich beim kaum bekannten, aber formidablen Bluesrock „Diego Paz wohr nüngzehn“ ein fantastisches Duell mit Michael Nass an der Hammond-Orgel - wie einst Lord und Blackmore bei Deep Purple. Ganz unaufdringlich führt die wunderbare Multiinstrumentalistin Anne de Wolff den Violinbogen im Hintergrund und bringt unter anderem mit einer Posaune neue Klangfarben ein.

Die zeitlosen Klangfarben der Glocken vom Kölner Dom, mit dem BAP ihre Zeitreise einläuten, klingen dunkler seit der vergangenen Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. Doch Niedecken beschwört ein anderes Bild seiner Heimatstadt. „Dausende vun Liebesleeder“ ist seine Liebeserklärung an die lebensfrohe Stadt am Rhein, „jemütlich, bekloppt, verklüngelt un restkatholisch“. Auf der Projektionswand im Hintergrund flimmert der Straßenkarneval. Obwohl selbst Ex-Kölner Probleme haben, das Kölsche Gebrabbel zu verstehen, sind die Refrains so eingängig, dass auch Schwaben mitgehen und textsicher mitsingen. Einzig bei „Absurdistan“, das sich mit den von Menschen verursachten weltweiten Problemen befasst, singt die Band „hochdeutsch“.

Niedecken ist aufgeräumt, entspannt und gut gelaunt. Kein „Verzällnix“, sondern ein mit dem Publikum flachsender „Bapp“ mit grauem Wuschelkopf. Er, einzige Konstante in der Band, verknüpft die Songs, deren er selbst so wenig überdrüssig ist wie seine Fans, mit herrlichen Anekdoten. Aktueller denn je ist das krachende „Arsch huh, Zäng ussenander“, mit dem die Band Zivilcourage einfordert. Sehr persönlich wirkt das ganz und gar nicht ironische „Dä Herrjott meint et joot met mir“. Vor fünf Jahren erlitt Niedecken einen Schlaganfall.

Die Arena tanzt

Eine Aufwärmphase brauchen BAP trotzdem nicht. Spätestens beim Reggae „Aff un zo“ tanzt steht die Arena - trotz Bestuhlung. Auch viele frühere Fans, die den unbeirrbaren Moralisten schon mal bespöttelt hatten, kommen wieder gern in seine Konzerte. Und erleben einen veränderten Niedecken, der sich nichts mehr beweisen muss, aber beweist, wie man in Würde vom „zornigen jungen Mann“ zum gesetzten Herrn reift.

Als er sich tatsächlich einen Stuhl bringen lässt, intoniert er eine Liebesliedereinlage im Sitzen. Vier Songs - einer der großen, intimen Momente des Abends. Ein grandioses „Jraaduss“. Ein großartiges „Alles em Lot“, einst als „Phil Collins für Arme“ abgekanzelt. Und „Do kanns zaubere“. Schließlich stimmt Niedecken jenen energetischen Klassiker an, der, obwohl 34 Jahre alt, „leider brandaktuell“ ist: „Kristallnaach“, selten besser gespielt. Zu den Zeilen über eine „Volksseele, allzeit bereit“ passen heute die Bilder von angegriffenen Flüchtlingsheimen.

Das Konzert ist bei aller Länge kurzweilig, die Videowand sehenswert, auch weil sie nicht von der Musik ablenkt. Und der Sound ist superb. Drei Zugabenblöcke hängt Niedecken an, inklusive einem Geburtstagsständchen vom Kölschen an den echten Bob Dylan, der kürzlich 75 wurde. Das muss sein, ohne Dylan gäbe es BAP nicht. Mit einem letzten tiefen Griff in die Schatztruhe holt die Band noch eine Rarität hervor: „Et letzte Leed“ von 1977 wurde Jahrzehnte lang nicht mehr live zelebriert. Ein von großen Rock’n’Roll-Touren träumender Song aus der Zeit, in der BAP sich kaum über die Grenzen der Kölner Südstadt hinausbewegte.

Es war ein Fest, sagt Niedecken zum Schluss. Sie kommen gerne wieder, schiebt er hinterher. Wir auch.