Ausverkauft war die Stuttgarter Stiftskirche beim Auftaktkonzert mit Werken von Johann Sebastian Bach. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz Von Martin Mezger

Stuttgart - „Kriminal-Tango“ im Kopfbahnhofgebäude zwischen Lautsprecheransagen und gefährlich tief fliegenden Tauben, gospel-verpoppte „The Lord is my shepherd“-Gesänge im großen Sitzungssaal des Rathauses und auf dem sonnenbeschienenen Schlossplatz, Mitmach-Singen mit einem Männergesangsquintett, den fantastischen Füenf, das dem Publikum seine „Schwabenhymne“ beibringt - mit so humorigen Zeilen wie: „Wir haben nicht so viel Esprit wie die Berliner, / dafür sind unsre Treppenhäuser cleaner.“ Die Bandbreite parallel laufender Konzerte beim Deutschen Chorfest ist riesig, die Zusammenstellung einer eigenen Route durch die vielen eintrittsfreien Konzerte an ganz unterschiedlichen Orten braucht seine Zeit. Aber Dank sehr guter Organisation läuft das Wandeln zwischen den Events gut, denn es gibt kaum Zeitverzögerungen und Abweichungen vom kleinteiligen Gesamtprogramm.

Evergreens als Haltestellenansage

Das Festivalmotto „Stuttgart ist ganz Chor“ zeigt sich auch in der U-Bahn. Aus den Lautsprechern tönen die Haltestellenansagen von den Füenf gesungen und in Evergreens verpackt: etwa „nächster Halt Hauptbahnhof“ auf „Dsching-Dsching-Dschingis Khan“.

Zwischen Chortrubel und Chorbesinnlichkeit wirkt dann der Abend in der ausverkauften Stiftskirche - eines der großen Festkonzerte mit Eintrittskartenpflicht - zunächst wie eine Veranstaltung eines Kirchentags. Prälat Ulrich Mack, Regionalbischof von Stuttgart, lobt die Landeshauptstadt als kirchenchorreichste Stadt, die 170 evangelische Chöre beherberge: „Schwaben singen gern, weil das zum Christsein gehört.“ Natürlich sei ein gesungenes Gotteslob schöner als ein nur gesprochenes. Da hat der Mann Recht, was im Anschluss an seine Rede Kirchenmusikdirektor Kay Johannsen und seine Ensembles Stimmkunst und Stiftsbarock in Werken Johann Sebastian Bachs eindrücklich bewiesen. Das Konzert ist Teil des Mammutprojekts „Bach:vokal“, in dem Johannsen und seine Ensembles seit 2011 und bis 2021 das gesamte Vokalwerk Bachs aufführen wollen.

In Bachs Pfingstkantate „O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe“ mit drei exzellenten Barocktrompetern erstrahlen nun die Chöre in geradezu perfekt intonierter Vierstimmigkeit. Und mit seinem Rezitativ „Herr, unsre Herzen“ zeigt besonderes Tenor Daniel Schreiber, wie luxuriös das 16-köpfige Solistenensemble Stimmkunst besetzt ist. Natürlich werden alle Sologesänge von Choristen übernommen. So rein, so geschmeidig und farbenreich wie in der doppelchörigen Motette „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir“ hört man die komplexe Polyphonie Bachs nicht oft. Und das Ensemble Stiftsbarock auf historischen Instrumenten mit Christine Busch am Konzertmeisterinnenpult grundiert das Ganze mit luftiger, sprechend artikulierter Feinarbeit. Indes wirkt besonders Bachs final gespielte G-Dur-Messe insgesamt etwas blutleer. Johannsen würde gut daran tun, wenn er mehr Emphase einforderte und das Tempo gelegentlich etwas anziehen würde. Was auch dem madrigalesken Schlusschor „Cum sancto spiritu“ gut stände, der freilich auch so schon ausnehmend geschmeidig schwingt.