Faszinierende Klänge: Rebekka Bakken und Hans Theessink beim Konzert im Ordenssaal. Foto: Wolschendorf Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg -Den Einfall zu diesem Konzert hatte Thomas Wördehoff offenbar beim Kochen. Der Festspielintendant, der Kontrastprogramme über musikalische Genregrenzen hinweg liebt, hörte im Radio zufällig Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“, und da kam ihm Richard Dehmels Gedicht in den Sinn, das dem Streichsextett auf der Schwelle zur Musik des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt. Greift ins Bücherregal und denkt bei der melancholischen Grundstimmung und Überwindungsmentalität des Textes an den amerikanischen Blues, wie er bei der dem Konzert vorgeschalteten Podiumsdiskussion erzählt. Sinnigerweise ist Sternekoch und Hobby-Jazzmusiker Vincent Klink einer seiner Gesprächspartner, der wie in seiner innovativen Küche für ungewohnte Kontraste von exzellenter Qualität plädiert. Der andere ist Steven Walter, der mit seinem Podium-Festival Esslingen noch viel experimentellere Wege auf diesem Terrain geht. Gegen ein „bürgerlich gezähmtes Repertoire“ setzt er auf das körperlich-sinnliche Erlebnis von Musik, wo der Besucher im Voraus nicht weiß, was auf ihn zukommt, und erst am Ende den Programmzettel in die Hand gedrückt bekommt. Zu Walters Konzeption von Jetzt-Musik mit Aura gehören zum Beispiel Dunkelkonzerte, in denen der Zuhörer wie ein Blinder ganz auf seine vier Sinne konzentriert ist.

Die Diskussionsfrage „Was liegt zwischen Blues und Schönberg“ beantwortet Wördehoff lakonisch: „unser Leben!“. So wie in den atonalen Miniaturen von Anton Weberns „Bagatellen“ die Zersplitterung der Identität des Menschen im 20. Jahrhundert grafisch auf den Punkt gebracht wird, so sind Gefühle der Stoff der Blues-Erzählungen wie auch des spätromantischen Überdrucks in Schönbergs „Verklärter Nacht“, wo ein Paar um die bedrohte Zukunft seiner Liebe ringt.

Das alles in einem Konzert zusammenzubringen, war ein Experiment, das im Ordenssaal das Eröffnungswochenende der Ludwigsburger Schlossfestspiele bravourös abrundete. Dass dabei auch die Streichinstrumente durch angeklammerte Mikroports verstärkt wurden, vergröberte zwar Schönbergs Sextett, doch bei den Rebekka-Bakken-Songs danach war das Schweizer Casal Quartett in schöner klanglicher Balance. Hier, bei „Innocent thief“ und „You’re crying so much easier“ kam das unverwechselbare Timbre der norwegischen Sängerin, klar und tief wie die Fjorde ihrer Heimat, am besten zur Geltung.

Den Blues verkörperte an diesem Abend eindrucksvoll der holländische Gitarrist Hans Theessink, und Rebekka Bakken färbte ihre Stimme bei Lonnie Johnsons „Another night to cry“ oder Lead Bellys „Where did you sleep last Night“ zu raueren Tönen. Klasse, wie beide die Artikulation und Dynamik in ihren Songs variierten und wie im Gegensatz dazu vom Casal Quartett die extrem reduzierten Impulse der Bagatellen ausgelotet wurden.

Nach Theessinks rauchiger Interpretation von Memphis Slims „Mother earth“ und Bakkens anrührendem schwedischen Volkslied über den Abschied von einem Liebsten war Schönbergs „Verklärte Nacht“ mit dem durch Sylvia Zucker (Viola) und Maximilian Hornung (Cello) verstärkten Casal Quartett ein erregender Kontrapunkt.