Von Dietrich Heißenbüttel

Stuttgart -„We all breathe the same air“ - „wir atmen alle dieselbe Luft“, sprach der amerikanische Präsident John F. Kennedy 1963 in seiner berühmten Rede an der American University gegen das atomare Wettrüsten. „Wir atmen dieselbe Luft“ steht auch in der Ankündigung der Ausstellung der Stuttgarter ifa-Galerie: mit Verweis auf den Brauch der Maori, zur Begrüßung Stirn und Nase aneinanderzulegen. Der Titel - „Politik des Teilens“ - weckt Erwartungen hinsichtlich viel diskutierter Themen: Filesharing und Urheberrechte, Commons, sprich Gemeingut, also die Frage, ob sich bestimmte Dinge nur entwickeln können, wenn man sich austauscht und teilt, statt eifersüchtig über seinen Besitz zu wachen. In Zeiten der zunehmenden sozialen Spaltung, wo private Konzerne selbst Trinkwasser und den öffentlichen Raum in eine Ware verwandeln, stellt sich die Frage nach einer „Sharing Economy“, einer Ökonomie des Teilens, umso dringlicher.

Theorie der Zusammenarbeit

Darauf geht die ifa-Ausstellung im Rahmenprogramm ein, wenn sich etwa Stuttgarter Sharing-Initiativen vorstellen oder wenn Mark Terkessidis am 21. September über „Eine Theorie der Zusammenarbeit“ spricht. Im Mittelpunkt steht aber Neuseeland, die Welt der Maori. Das hängt damit zusammen, dass Adnan Yıldız, der frühere Leiter des Stuttgarter Künstlerhauses, seit November den Artpace NZ in Auckland leitet. Er hat mit Elke aus dem Moore, seiner Vorvorgängerin am Künstlerhaus und heute Leiterin der ifa-Kunstabteilung, die Ausstellung kuratiert. Wer die Galerie betritt, sieht sich drei schwarzen, ornamentalen Scherenschnitten gegenüber, die als lange Bahnen an einer Wand hängen. Die Künstlerin, Lonnie Hutchinson, bezieht sich auf die Welt ihrer Vorfahren, der Maori und anderer Völker der Pazifikregion. Ob die Ornamente auch etwas zu bedeuten haben, bleibt offen.

Wissen muss man, dass es bereits die zweite Station der Ausstellung ist. In Berlin, wo sie zuerst stattfand, lud das Institut zunächst die indonesische Kuratorin Syafiatudina vom Kunci Cultural Studies Center in Yogyakarta ein, die Räumlichkeiten mit anderen zu teilen. Syafiatudina führte Gespräche mit Gästen, die um den indonesischen Begriff Numpang kreisten, der wohl so etwas wie teilen bedeutet. Vier bei dieser Gelegenheit produzierte, mehr als anderthalbstündige Radioprogramme sind nun auch an einem runden Tisch in der Stuttgarter Galerie abzuhören. Die Frage ist, wer das tun soll und ob es sich wirklich lohnt. Aus Berlin ist auch ein Video zu sehen, das den Künstler Kalisolaite 'Uhila von der Pazifikinsel Tonga zeigt, wie er auf dem Trottoir vor der Berliner ifa-Galerie einen ganzen Tag lang Zeit verschwendet.

Extrem minimalistisch und konzeptuell arbeitet auch der gebürtige Hechinger und Wahl-Hamburger Daniel Maier-Reimer, der für die Ausstellung die mehr als 1000 Kilometer von Auckland nach Christchurch allein zu Fuß zurückgelegt hat und von dieser Tour nur ein einziges Foto von einer Geröllhalde präsentiert. Dafür wollte er andere beteiligen: Syafiatudina gab seine Einladung dann aber an Freunde weiter und bat sie, die Wanderung zu kommentieren. Das Ergebnis liegt nun in einer vervielfältigten Broschüre mit fast schwarzem Cover zum Mitnehmen aus. Im Vergleich dazu ist die Arbeit von Peter Robinson, der sich explizit auf den Minimalismus beruft, richtig bunt und benutzerfreundlich. Unter dem Titel „Syntax“ hat der Künstler aus farbigem Filz abstrakte Formen gestanzt, die der Besucher wie Buchstaben eines unbekannten Alphabets zu Worten und Sätzen verbinden kann.

Der Gesang des Schamanen

Alle diese Arbeiten werden gerahmt von einer mehrteiligen Foto- und Video-Installation von Natalie Robertson. Zu sehen ist ein Gemeinschaftshaus: der Vorraum, der Blick nach draußen, ein Tisch voller Speisen. Diese Ansichten, erklärt die Künstlerin, durften nur mit Genehmigung aufgenommen und ausgestellt werden. An der zweiten Querwand hängen wiederum lange Bahnen mit Schwarzweißaufnahmen eines ausgetrockneten Flussbetts mit viel Schwemmholz. Davor ist auf zwei Bildschirmen ein fließendes Gewässer zu sehen. Die Künstlerin erzählt von der Abholzung der Wälder, der Zusammenhang erschließt sich nicht ganz. Welches „kollektive Wissen“ spricht der Untertitel der Ausstellung an? Es wirkt wie unfreiwillige Ironie: eine ethnologische Ausstellung, die keine sein will und daher auf jede Erklärung verzichtet.

Der Gesang eines Schamanen ruft aus dem letzten Raum, das erschließt sich auch ohne Erklärung. Es scheint sich um ein Video-Kabinett zu handeln, doch wer nachschaut, sieht zunächst nur ganz hinten in der Ecke ein Laptop mit abgewandtem Bildschirm. Wer genauer hinsieht, erkennt jedoch, dass der Computerbildschirm mit einer blank polierten, schwarzen Obsidianscheibe kommuniziert, in der sich das Bild des Schamanen spiegelt. Gabriel Rossell-Santillan, der jeweils die Hälfte des Jahres bei den Huicholen der mexikanischen Sierra Madre Occidental und die andere Hälfte in Berlin verbringt, hatte ihn eingeladen, mit ihm das Völkerkundemuseum in Dahlem zu besuchen. Dort hatte der Schamane seinen Gesang angestimmt, um mit den ausgestellten Gegenständen seiner Region Kontakt aufzunehmen. Freilich mit dem Ergebnis: Die Objekte sind tot, sie sagen nichts mehr.

Sehenswert ist ein kleines Filmprogramm aus Samoa mit acht Videoarbeiten. Leider werden sie als fortlaufendes Programm vorgeführt, das insgesamt ungefähr eine Stunde dauert. Gerade die längsten lohnt es jedoch nicht unbedingt, volle 19 Minuten lang anzuschauen. Aber wer das nicht tut, verpasst leicht die kürzeren, nur drei bis sechs Minuten langen Filme.

Die Ausstellung ist bis zum 2. Oktober in der Stuttgarter ifa-Galerie zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr.