Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Ein halbes Geburtstagskonzert spielte das SWR-Symphonieorchester zu Ehren des Jubilars: Vor einigen Wochen hat Hans Zender seinen 80. Geburtstag gefeiert, und als früherer ständiger Gastdirigent des SWR Symphonieorchesters Baden-Baden und Freiburg ist er dem Sender nicht nur als Komponist von Uraufführungen auch bei den Donaueschinger Musiktagen verbunden. Die Auswahl der zwei Werke, die nun zur Aufführung kamen, zeigte die Bandbreite seines Schaffens: „Oh Cristalina“ aus dem dreiteiligen Zyklus auf den „Cántico espiritual“ des spanischen Mystikers Juan de la Cruz steht für Zenders Klangvorstellung einer mikrotonalen Harmonik und seine intensive Auseinandersetzung mit philosophischen und literarischen Ideen, während seine „Schubert-Chöre“ aus dem Jahr 1986 ihn als Erfinder einer „kompositorischen Interpretation“ in der Postmoderne ausweisen.

„Ich bin ein vom Gesang besessener Musiker“, erklärte Hans Zender vor zwei Jahren bei der Uraufführung von „Oh Cristalina“. Seine Vertonung des Dialogs zwischen Braut und Bräutigam, den Juan de la Cruz als wegen Ketzerei Gefolterter im Gefängnis schrieb, ist dafür ein leuchtendes Beispiel. „O cristalina fuente“ - oh glasklare Quelle - intonieren die hohen Frauenstimmen des SWR-Vokalensembles, von sphärischen Klängen des Orchesters begleitet, zu Beginn und folgen dem Flug der Seele, während sich bei der Antwort der Männerstimmen pochende Synthesizer-Impulse und knatternde Percussion einmischen. In zwei Reihen sitzen die Sängerinnen und Sänger vor den Instrumentalisten, am Schluss beschwören sie gemeinsam eine Vision von Freiheit und Vereinigung: „Die ruhige Nacht in Erwartung der Morgenröte, die schweigende Musik, die tönende Einsamkeit, das Nachtmahl, das kräftigt und die Liebe nährt.“

So einfühlsam und polychrom in der Klanggestaltung Zender den spanischen Text komponiert, so vorsichtig übermalt er in seinen „Schubert Chören“ den original belassenen Vokalpart mit Orchesterstimmen. Beim „Gondelfahrer“ wird das nächtliche Venedig der Lagune mit Glockenschlägen und silbrigen Flageoletts evoziert, „Coronach“ für Männerchor und „Der 23. Psalm“ für Frauenchor werden mit exotischen Klängen von Marimba, Celesta, Harmonium und Mandoline musikalisiert. Im Chorlied „Nachthelle“ hat Tenor Alexander Yudenkov ein feines Solo. Abwechselnd zelebrieren die Damen und Herren des SWR-Vokalensembles diese Art von Geburtstagsständchen für Zender, der danach mit großem Sympathiebeifall bedacht wird.

Agiert das SWR-Symphonieorchester im ersten Teil eher transparent und zurückhaltend, präsentiert es sich im zweiten unter Leitung des Gastdirigenten Cornelius Meister bei Alexander Zemlinskys „Die Seejungfrau“ in üppiger Klangpracht. Meister, designierter Nachfolger Sylvain Cambrelings als Generalmusikdirektor der Stuttgarter Staatsoper ab 2018, bietet in der „Fantasie in drei Sätzen für großes Orchester nach einem Märchen von Andersen“ eine höchst farbige Wiedergabe der Partitur. Opulent ausstaffiert, hat dieses 1905 in Wien uraufgeführte Werk ein zauberhaftes Klangkolorit, das das SWR-Orchester zur Geltung bringt. „Ich komponiere gerade den Sturm am Meer“, schrieb Zemlinsky während der Arbeit an seiner „Seejungfrau“ an Schönberg: „Eine Sauarbeit, wenn man nicht billig und gewöhnlich sein will“. Das nun ist das überladene, ausweglose Werk gerade nicht, doch es erschöpft sich in seinen ständigen Farbstürmen.