Foto: T. Rothe Quelle: Unbekannt

Wie die Berg sich in ihre Rollen wirft, wie sie die Posen raushaut, das macht ihr so schnell niemand nach.

Von Harry Schmidt

Stuttgart -Ein erstaunlich heterogener Mix bevölkert die U11. Ihr gemeinsames Ziel: das Konzert der in Krefeld geborenen und in Aspach lebenden Schlagersängerin Andrea Berg. Eine Runde angeschickerter Kegelschwestern stimmt den alten Henry-Valentino-Hit „Im Wagen vor mir“ an, rüstige Rentnerpärchen, blondierte Seniorinnen mit osteuropäischem Akzent und einsame Schürzenjäger-Wölfe - kurz: Menschen, für die der Radiosender SWR4, der die Veranstaltung folgerichtig auch präsentiert, ein sogenanntes Einschaltprogramm darstellt, machen die als Volksfestlinie bekannte Schienenverbindung buchstäblich zur Berg-Bahn. Überraschend, vielleicht auch der Kälte geschuldet: So gut wie niemand hat sich aufgedirndelt, die Karohemden sind im Schrank geblieben. Dem entspricht ein halbbestuhlter Innenraum der Schleyerhalle, die mit über 10.000 Besuchern an diesem Abend gut gefüllt, aber nicht ganz ausverkauft ist.

Die Bühne ist noch verhüllt, nachdem ein Moderator die Menge etwas eingeklatscht hat, eine silberglitzernde Elfe zeigt ausdruckstänzerisch an, dass es gleich losgeht. Die Mission: einheizen drinnen bei der klirrenden Kälte draußen. Denn dafür ist Andrea Berg ja bekannt, das Spiel mit dem Feuer ist auch visuell ihr Markenzeichen, Pyrotechnik gehört zu den elementaren Bestandteilen einer Berg-Show. Im Juli vergangenen Jahres kam es zu einem Unfall: Bei einer Vorpremiere zur aktuellen Tour erlitt sie Verbrennungen an der linken Schulter. Ihre Reaktion darauf lässt keinen Zweifel aufkommen: Mit den ersten Klängen von „Drachenreiter“ fällt der Vorhang und gibt den Blick frei auf ihre Bühne, die tatsächlich von einem liegenden Drachen beherrscht wird, auf dessen Kopf sie jetzt steht. Und der natürlich, wie es sich für einen Drachen gehört, auch Feuer speit, zwischen den Zeilen des Refrains. Die Botschaft ist klar: Als gebranntes Kind das Feuer zu scheuen, kommt für Berg nicht infrage. Im Gegenteil: Wie ein Formel-1-Pilot nach einem Crash möglichst schnell wieder Rennen fahren möchte, steht die Schlagerkönigin im langen roten Gewand dort oben, während das Fabelwesen Feuersäulen in den Saal spuckt. Das bestätigt der weitere Verlauf: Noch mehr Pyro in „Piraten wie wir“, Tänzer schwenken Fackeln, aus den Stacheln des Tiers lodern weitere Flammen, der Gitarrist spielt ein heißes Solo, während sie über den Drachenrücken hinabsteigt - das ist der Moment, in dem sie sich in Wetzlar Brandverletzungen zugezogen hat, die ihr höllische Schmerzen verursacht haben, wie sie später verriet.

Heute wie damals lässt sie sich nichts anmerken: Wie in ihren Liedern, deren Texte sie selbst schreibt, gibt Berg auch auf der Bühne die toughe Kämpferin, eine Stehauf-Frau, deren Mutmach-Musik sich vielen Projektionen als erreichbare Perspektive anbietet: „Was ich für Dich fühle, zeig‘ ich nicht“ heißt so eine Zeile. Freilich ist die Musik, die ihr seit vielen Jahren Dieter Bohlen dazu schreibt, oft nicht mehr als flotte Schlager-Konfektionsware, überaus eingängig, aber auch nahezu überraschungsfrei, vieles ähnelt sich. Als sie ihre aktuelle Single „Feuervogel“ vorstellt, denkt man kurz an „Kilimandscharo“, aber das kommt erst gleich danach. Nicht weniger als 40 Lieder präsentiert Berg in ihrer knapp dreistündigen, von einer Pause geteilten Show und bewerkstelligt das Kunststück, kurzweilig zu unterhalten, ohne einen Augenblick gehetzt zu wirken (und sich noch fünfmal umzuziehen).

Als sie vor 24 Jahren mit „Kilimandscharo“ antrat, den deutschen Schlager zu erneuern, hat sie den Boden für eine neue Generation bereitet. Und auch wenn die Fischers und Eglis sie auf der einen oder anderen Ebene überholt haben, zeigt die ausgebildete Arzthelferin in Stuttgart, dass sie den Spagat zwischen der rassigen Rothaarigen und dem Mädchen von nebenan immer noch so selbstverständlich beherrscht wie keine andere. Wie die Berg sich in ihre Rollen wirft, wie sie die Posen raushaut, macht ihr so schnell niemand nach: Mit angewinkelten Armen und geballten Fäusten aktiviert sie ihre Mitte in „Ich sterbe nicht noch mal“. Barfuß nutzt sie ihre Märchenwelt-Bühne als Laufsteg, tanzt auf dem in den Stehpatzbereich ragenden Drachenschwanz mit ihrer Tänzerschar und wirkt geerdeter denn je. Das aber war von Beginn an ihr Image, im Gegensatz zur Himmelsstürmerin Helene Fischer: Bodenständigkeit ist das Zentrum ihres Markenkerns, auch wenn sie sich mal kurz auf einer Schaukel hochziehen lässt.

Auch in ihren Ansagen wirkt sie authentisch: Nachdem sie ihr Drachenmotiv, das der Show sowohl optisch als auch dramaturgisch als Rückgrat dient, mit Michael Ende und dem Phönix aus der Asche in Verbindung gebracht hat, fragt sie „Habt ihr auch einen daheim?“. Mit einer Kinderschar singt sie „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“, mit Simon aus dem Publikum „Wenn Du mich willst“ - der 14-Jährige schlägt sich prima, die Halle tobt.

Nicht alles gelingt gleich gut, vor allem verschwimmt der eigentlich ordentliche Sound der fünfköpfigen Tourband leider manchmal im übertriebenen Drum- und Bass-Gewummer. Dafür verfangen die Synthie-Hooks, mit denen DJ Bobo manche ihrer Hits aufgepeppt hat, etwa bei „Der letzte Tag im Paradies“ oder „Ich werde lächeln, wenn du gehst“. Zu „Tango Amore“, der in Wirklichkeit eine Ballade ist, zeigt die Hintergrundprojektion allen Ernstes eine verschneite Berglandschaft, wobei das zum latenten Après-Ski-Flair ihrer Lieder auch wieder ganz gut passt. „Danke, Jungs“, ruft sie den Herren der Schöpfung zu, die sie inspiriert hätten: „Ihr habt mich reich gemacht!“ Aber sie weiß auch zu berühren, als sie mit „Im nächsten Leben“ und „Und wenn ich geh“ Gedenken und Trauer Raum gibt, bevor mit „Die Gefühle haben Schweigepflicht“ das Finale eingeläutet ist.

Sicher leiden manche ihrer Zeilen unter genretypischer Übertreibung, wenn es in „Himmel auf Erden“ etwa heißt: „in jedem Augenblick nur noch pures Glück mit dir“. Dessen ungeachtet muss man anerkennen, dass sie ihren selbstgestellten Anspruch einlöst: Bergs Musik funktioniert als das, was sie zu sein vorgibt: Stimmungsmusik, dazu geeignet, Menschen zusammenzubringen. Das unterstreichen eindrucksvoll die textsicheren Publikumschöre. Nach einem Schlagermedley ist man für Zugaben bereit: Mit „Diese Nacht ist jeden Sünde wert“, „Ich liebe das Leben“, „Du hast mich tausendmal belogen“ und dem Gedanken an die Unausweichlichkeit der Schlagzeile „Berg-Fest in der Schleyerhalle“ zieht man hinaus in die kalte Nacht.