Durch das leere Gebäude irren Geister, hüpfen Kollegen mechanisch auf und ab. Foto: Daniela Wolf Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart -Als erstes spricht der firmeneigene Computer mit uns, seine Maschinenstimme hallt durchs leere Empfangsfoyer der ehemaligen Deutschlandzentrale von IBM: Mehr als 3000 Menschen haben hier einst gearbeitet, im so genannten Eiermann-Areal, oben in Vaihingen direkt am Autobahnkreuz Stuttgart. Seit 2009 stehen die architekturhistorisch bedeutsamen riesigen Firmengebäude leer, jetzt wird das einsame Gelände zur Kulisse für eine Endzeitfarce: Das Theater Rampe und die Choreografin Nicki Lisztas zeigen hier „How to sell a Murder House. Ein getanztes Immobilienportfolio“ von Sibylle Berg.

Über IBM und seine Firmenphilosophie werden wir genauso viel erfahren bei dieser zweistündigen Bürodurchwanderung wie über zaghafte Männer und starke Frauen. Bei Sibylle Berg ist es eine einsame Villa, ein Refugium auf dem Berg, zu dem eine Maklerin ihren nervösen Kunden bringt. Irgendeine Katastrophe muss es unten in der Stadt gegeben haben, aber auch durch das leere Gebäude irren Geister - mit markerschütternden Schreien weist uns eine Vogelfrau den Weg hinaus in die nächtlichen Anlagen, halsbrecherisch rennen droben Menschen auf den schmalen Absätzen vor den Fensterreihen herum, krabbeln im Wäldchen zwischen den Gebäuden, hängen in den Bäumen.

In der riesigen leeren Kantine wird ein zögerlicher Angestellter unterwiesen, mechanisch hüpfen die Kollegen samt der zynischen Vorgesetzten auf und ab, bevor die ganze Meute vom Balkon ins Nichts springt. Als Trauerzug kehren sie wieder und singen Erhebendes aus dem IBM-Liederbuch, während die Brombeerranken bis an die Drehtüren züngeln. Unter die Dialoge von Sibylle Berg mischen die Regisseurinnen Marie Bues und Nicki Liszta Business-Monologe, die sie dem Gebäude abgelauscht haben: Hymnen auf die vorbildlich offene Firmenkultur, die dennoch manchmal ans Sektiererische grenzt, geraunte Computermythen von den ersten Lochkarten bis zur Artificial Intelligence. Die Enkelin eines IBMlers feiert tanzend mit uns, im nächsten Büro schreit uns eine Managerin an, dass wir besser werden müssen.

„Unsere Räume sollen Spaß am Arbeiten vermitteln“, klingt es aus dem Off, noch heute ist die Anlage von Egon Eiermann eine Schönheit mit ihren klaren Konturen, den warmen Holzelementen, den alles sanft dämpfenden Teppichböden. Durch eine homoerotisch betanzte Kaffee-Ecke geht es zu dem Weichling, der sich aus Russland ein liebes Frauchen bestellt hat und stattdessen eine Intellektuelle bekommen hat, die uns ihre Sicht der Dinge darlegt, sehr nackt und sehr körpernah. In einer rotglühenden Küche versucht dann ein verkabelter Nerd, sich ganz im Internet aufzulösen, im World Wide Web nämlich kreuzen sich Sibylle Bergs Stück und die faszinierende Location: Männer sind schwach und internetabhängig, so die fröhliche These der Züricher Autorin, deswegen sterben sie hier auch reihenweise.

Zum Finale landen wir wieder im weiten Eingangsfoyer, wo sich die Schauspieler von der Rampe und die nicht minder großartigen Tänzer von Lisztas Backsteinhaus-Produktion in einem surrealen Endspiel unter die Zuschauer mischen, sich wild auf den Boden werfen, uns ins Ohr raunen, die Geschlechterrollen auflösen und von den riesigen Stahlträgern herabhängen. Zu einer lakonisch-bedrohlichen Musik von Kat Kaufmann haben Bues und Liszta samt ihren unsichtbaren Helfern einen faszinierenden Irrgarten kreiert, dessen unheimlichste Rolle vielleicht doch das verlassene Hauptquartier einer Weltfirma spielt. Warm anziehen!

Weitere Aufführungen: 12. bis 14. April, 3. bis 6. Mai. Karten über www.theaterrampe.de, dort auch Informationen über die Anfahrt.