Von Martin Mezger

Stuttgart - Johann Sebastian Bach ist, abgesehen von einer frühen Tour nach Norddeutschland und einer sehr späten nach Berlin, nie aus seinem mitteldeutschen Umfeld herausgekommen. Um so begieriger hat er alle Musik, die ihm in die Finger kam, aufgesogen. So auch Werke der französischen Clavecinisten von Jean-Henry d’Anglebert bis zum großen François Couperin. Dem prägenden Einfluss dieser französischen Cembalo-Schule für Bachs eigenen Stil spürte Andreas Staier mit dokumentarischer Präzision nach. Für sein Konzert im Weißen Saal des Neuen Schlosses hat der Cembalist ein Programm zusammengepuzzelt aus Stücken, die Bach gekannt haben muss. Folge war im ersten Teil ein kleinteiliges Potpourri aus Minutencocktails und Bach’schen Reflexen: eine Spurensuche mit Belegen. Aber trefflich angerichtet (abgesehen vom störenden Außenlärm).

Gelassen, fast rhapsodisch eröffnete Staier eine Suite d’Angleberts, dem typisch französischen Charakter dieser musikalischen Prosodie ebenso angemessen wie in den folgenden Sätzen der federnde Schwung der „Notes inégales“, der eleganten Lang-kurz-Spielweise. Verglichen mit dieser genüsslich schweifenden, in wuchernden Verzierungen schwelgenden Musik wirkte Bachs a-Moll-Fantasie BWV 904 mit ihren sequenzierenden Spannungssteigerungen freilich konsequent durchgestaltet.

An zwei höchst gegensätzliche Fugen d‘Angleberts über das gleiche Thema mag sich Bach bei der Konzeption seiner „Kunst der Fuge“ erinnert haben. Staier ließ deshalb zwei Sätze aus diesem großen Zyklus folgen, sinnigerweise auch den mit seiner punktierten Rhythmik ausdrücklich dem französischen Stil verpflichteten Contrapunctus VI. Exzellent durchleuchtete er mit seinem kantabel und resonanzreich klingenden Instrument, dem Nachbau eines Cembalos des Bach-Zeitgenossen Michael Mietke, die polyphonen Verflechtungen des Themas und seiner Umkehrung. Deplatziert dagegen Nicolas de Grignys Orgel-„Dialogue“, der eben nur auf der Orgel wirkt, auch wenn Staier den Dialogcharakter sehr wohl registrierte. Brillant wiederum eine Folge von Couperins genialen Charakterstücken, gespielt mit Temperament und glänzenden Esprit. Was erst recht für Bachs D-Dur-Partita (BWV 828) gilt, die Staier in ihrer kompositorischen wie spieltechnischen Virtuosität, ihrer sinnierenden Tiefe und ihrem geistreichen Elan überragend interpretierte.