Intendant, Regisseur und Autor: Armin Petras. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Die Zuschauerzahlen zeigen für die abgelaufene Saison eine Fortsetzung des Abwärtstrends an.

Von Thomas Krazeisen

Stuttgart - Nach einem Einstand nach Maß, bei dem Stuttgarts Schauspielintendant Armin Petras theaterästhetisch den erhofften frischen Wind ins sanierte Stammhaus am Eckensee gebracht hatte und obendrein neue und jüngere Zuschauer anlocken konnte, war in der zweiten Spielzeit bei Zuschauern und Kritikern Flaute angesagt. Bei der vorgelegten hohen Schlagzahl zum Auftakt seiner Stuttgarter Intendanz war freilich nicht zu erwarten, dass sie dauerhaft durchzuhalten sein würde. Erstaunlich war dann allerdings der krasse Einbruch in der zweiten Saison. Nun konnte man spekulieren, dass ähnlich wie an der Börse nach einem steilen Anstieg eines Index und einer anschließenden „gesunden“ Erholung sich der positive Trend bei entsprechendem Marktumfeld fortsetzen würde. Und dieses war, um im Bild zu bleiben, sehr freundlich, als sich der Vorhang zur nunmehr dritten Spielzeit des 2013 aus Berlin nach Stuttgart gekommen Schauspielchefs hob: Im vergangenen November verkündete der Verwaltungsrat des größten europäischen Dreispartenhauses, dass der in zwei Jahren auslaufende Vertrag des Schauspielchefs um drei Jahre - also bis 2021 - verlängert werde. Er wäre dann acht Jahre am Stuttgarter Staatsschauspiel (so lange blieb auch sein Vorgänger Hasko Weber).

Petras und sein Team konnten also mit Rückenwind das Theaterschiff am Eckensee wieder flott machen. Nun wäre es bei einer Kulturunternehmung unredlich, den Erfolg allein an der wirtschaftlichen Bilanz, will heißen: am Zuschauerzuspruch und den Einnahmen, zu messen. Andererseits ist der Mann mit der Mütze so ehrgeizig, sich eben auch an den harten Tatsachen des Kulturgeschäfts messen zu lassen. Die zeigen für die abgelaufene Saison 2015/2016 keine Trendwende an, sondern eine Fortsetzung des Sinkfluges, was Besucher- und Auslastungszahlen am Staatsschauspiel anbelangt.

Konkret kamen in der vergangenen Spielzeit 113 000 zahlende Zuschauer; in der zweiten Petras-Saison waren es noch 128 000, im ersten Jahr gar 145 000. Entsprechend ging die Auslastung von 87 Prozent (2013/2014) über 78 (2014/2015) auf nun 74 Prozent zurück. Damit bildet das Schauspiel das Schlusslicht der drei Staatstheatersparten. Zum Vergleich: Die Oper schloss die abgelaufene Saison mit einer Auslastung von 78 Prozent ab, das Ballett bestätigt mit 97 Prozent seine Konstanz seit Jahren auf allerhöchstem Niveau.

Soweit die Zahlen. Was die Qualität des gebotenen Programms anbelangt, schneidet die vergangene Spielzeit nicht schlechter ab als die vorige - freilich war auch die schon durchwachsen. Und doch gab es sie auch jetzt: große Theatermomente, Abende ungetrübten Schauspielglücks, die aus dem Flachland durchschnittlicher und weniger erfreulicher Erlebnisse herausragten. Was die Höhenflüge anbelangt, so waren dafür weniger die jungen Regisseure verantwortlich. Zum Saisonstart schmierte gleich einmal Tschechows „Möwe“ beim belanglosen Langstreckenflug in der Inszenierung von Martin Laberenz ab. Die Wiedergutmachung folgte dafür alsbald. Ein Altmeister musste es richten: Frank Castorf bescherte in der zweiten Schauspielhaus-Produktion mit seiner konsequent dekonstruktivistischen Lesart des russischen Revolutionsromans „Tschewengur“ von Andrej Platonov dem Publikum einen Höhenflug oder - um im Bild des Untertitels zu bleiben - eine höchst vergnügliche, lange, aber nie langweilige „Wanderung mit offenem Herzen“. Und ein anschauliches Beispiel, wie Qualität und Quote differieren können: Das Ende der bilderreichen Castorf’schen Reise in die Revolution (und wohl auch in die eigene aufgewühlte Seele) erlebten nur noch zwei Drittel der zum Stuttgarter Regie-Debüt des Regisseurs erschienenen Besucher mit.

Dabei vollbrachte das Ensemble eine Höchstleistung, allen voran Astrid Meyerfeldt und Wolfgang Michalek - wie überhaupt schauspielerische Leistungen immer wieder über schwächere und selbst misslungene Saison-Produktionen hinwegzutragen vermochten. Erinnert sei an die prätentiös betitelte Liebes- und Lebenspassion „I’m searching for I:N:R:I (eine kriegsfuge)“: Eine Stuttgarter Koproduktion, geschrieben von Fritz Kater, also Armin Petras, inszeniert vom Intendanten-Kollegen Jossie Wieler, der hier mal wieder Sprechtheater in Szene setzen konnte - nur dass szenisch bei den Erzählendlosschleifen nicht viel zu machen war. Wieler und die Schauspieler machten das Beste daraus. Fritzi Haberlandt und André Jung retteten so noch einiges in Katers Assoziationslabyrinth.

Im Saison-Finale war auf einen anderen Regie-Routinier Verlass. Da musste das Schauspiel - wieder einmal - mit einem Autostück quasi auf die Standspur: Kaum zu glauben, aber die notorischen Sanierungskrankheiten des Schauspielhauses, genauer gesagt der Bühnentechnik, sind noch nicht auskuriert. Das Schauspiel machte mobil - mit Theater aus dem Auto im Autokino in Kornwestheim. Dort ging es dann wie üblich im beschleunigten Parlando durch bilder- und assoziationsreiche Wortschleifen des Autors René Pollesch, der diesen typischen Trip auf dem Parlando-Beschleunigungsstreifen wie üblich auch inszenierte - dass die Beschilderung (der Abend hieß: „Stadion der Weltjugend“) irreführend war: Geschenkt, unterhaltsam war’s allemal. Auf der Habenseite der Saison steht unbedingt auch Sebastian Baumgartens bezwingender Bilderbogen, den er über Nikolai Gogols Roman „Tote Seelen“ spannt. Das 500-seitige Fragment einer gesellschaftlichen Höllenfahrt zeigt Baumgarten als Kopfgeburt unstillbarer Gier in einem riesigen, bewohnbaren Totenschädel: eine starke Inszenierung, bizarr, irrwitzig, durchdacht.

Auch Armin Petras hat seine Duftmarken hinterlassen: Besser als in seiner „Kriegsfuge“ machte es der Intendant als Stückeschreiber in „zeit zu lieben zeit zu sterben“, seinem Sittengemälde der Ost-Jugend der Siebziger- und Achtzigerjahre. Hier passte dann alles: Antú Romero Nunes fand den richtigen Regie-Dreh, und auch schauspielerisch war der Abend eine Wucht. Inszenatorisch war Petras’ Input hingegen überschaubar: Sein magistral daherkommendes Lebens-„Buch (5 ingredientes de la vida)“, eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen, bleibt szenisch unübersichtlich, die Shakespeare-Inszenierung „Der Sturm“ verpuffte im Wesentlichen klischeehaft-klamaukig, auch seine mit allen möglichen Assoziationen aufgerüstete Deutung des Klassikers „Nathan der Weise“ wird kaum in Erinnerung bleiben.

In unserer kleinen Serie zogen wir eine Bilanz der vergangenen Spielzeit an den wichtigsten Bühnen der Region.