Jannik Mühlenweg und Nurettin Kalfa. Foto: Mirbach Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Ein wirkungsvolles Bild, wie sich über die weiße Frauenskulptur blutrote Farbe ergießt. Und ein deutliches Bild: Der Grieche Jorgos, selbst jede Art von Gewalt verachtend, wird gerade zusammengeschlagen - was nicht gezeigt wird. Vorher hatte er diese eigentlich graue (griechische?) Figur weiß bepinselt. Sie steht in der Mitte des schneeweiß glänzenden Bühnenvierecks, das von den Zuschauerreihen eingerahmt wird.

Aber gleichzeitig ist das Bild, das von der brutalen Gewalt gegen einen Unschuldigen spricht, auch viel zu stark. Schließlich wurde Jorgos ja nicht massakriert. Und am Ende von Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“ zeigt auch der Grieche, zuvor Opfer jugendlicher und provinzieller Tumbheit, selbst Anzeichen eines kruden Rassismus: „Turkisch nix. Jorgos und Turkisch nix zusammenarbeit“, sagt der Gastarbeiter, als in seinem Betrieb ein Türke eingestellt werden soll, und überlegt deshalb, in eine andere Stadt zu ziehen.

In der Außenspielstätte Nord des Stuttgarter Staatstheaters, wo Fassbinders Bühnenstück „Katzelmacher“ von 1968 jetzt Premiere hatte, gibt es noch andere Szenen, in denen der hohe künstlerisch-visuelle Anspruch, mit dem sich der rumänische Regisseur Eugen Jebeleanu dem Fassbinder-Stück genähert hat, deutlich wird: Die schicke Fabrikantin Elisabeth (Susanne Schieffer) tanzt verträumt unterm Lichtspot, und es fällt sachte Schnee (oder Asche?) auf sie hernieder.

Schön anzugucken, aber diese Visualisierung sehnsüchtiger Gefühle ist unnötig. Sehnsucht, Gewalttätigkeit, Beschränktheit, ja, Sprachlosigkeit - das steckt alles im entlarvenden Jargon, den Fassbinder seinem Bühnenpersonal in den Mund gelegt hat. Ein Kunstdialekt, den er sich aus den kritischen Volksstücken Ödön von Horváths und Marieluise Fleißers abgeguckt hat: „Erschlagen müsst man dich mit deinem Mundwerk“, sagt Erich (Philippe Thelen) zu seiner Freundin (Kim Vanessa Földing). „Ich möcht in ein U-Boot, weil das ist was anderes wie auf dem Land“, träumt Bruno (Milan Gather). „Eine jede Negernutten die hat Gummitutten, aber unser einer der hat nichts“, meint Paul (Christopher Vantis). Und als Marie (Inga Behring) äußert, „Ich fürcht mich, weil von niemand nichts Gutes nicht kommt“ kriegt sie von Franz (Mark Ortel) die Antwort: „Die Sachen sind so wie sie sind, da kannst nichts ändern.“

Die Provinz ist halt die Hölle, und die Protagonisten sind acht junge Leute im Alltagstrott stumpfer Monotonie, die gefangen sind in lieblosen bis gewalttätigen Beziehungen, die geprägt sind von gegenseitiger Verachtung, Abhängigkeit, Ausbeutung inklusive Fremdgehen, Vergewaltigung, bezahlten Liebesdiensten.

Gefundene Projektionsfläche

Da stellt Jorgos, der Gastarbeiter, sehr authentisch gespielt von Nurettin Kalfa, die gefundene Projektionsfläche dar: Die Frauen umwerben ihn, die Männer sehen den Feind, den Konkurrenten in ihm, den „Kommunisten“, den „griechischen Hund“. Sie hängen ihm eine Vergewaltigung an und steigern sich in Gewaltfantasien, die von der Kastration bis zum Mord reichen. Jebeleanu ist der Fassbinder’schen Bühnensprache mit einer gewissen Ratlosigkeit entgegengetreten. Das Ensemble, das größtenteils aus dem Studiengang Schauspiel der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst rekrutiert wurde, steht im zweiten Teil oft nur starr im Kreis auf der Bühne und schaut mit leerem Blick ins Publikum. Auch wieder so ein überdeutliches Bild: Die Einkesselung des Opfers, die Verschwörung gegen „das Fremde“.

Völlig unnötige Elektrosounds

Aber warum bloß tragen die Jugendlichen, zuvor noch in altersgemäßen Klamotten, plötzlich ein so schickes Outfit wie Pelzmantel, trendy Abendkleider, schwarze Netzhemden (Ausstattung: Velica Panduru)? Nervend auch: Die völlig unnötige Dauerunterlegung des Abends mit Elektrosounds, mal sanft-beiläufig, mal aggressiv. Highlight des Abends aber: die Gesangseinlage von Jannik Mühlenweg, der den Transvestiten-Sänger mimt, in dem die Frauenrollen der Gunda und Ingrid zusammengefasst sind. (Wobei hier wiederum einzuwenden wäre, wie denn ein Transvestit bitte schön in dieser Provinzhölle überleben will, wenn es schon ein Grieche so schwer hat.)

Aber wie der charismatische Mühlenweg auf Stöckelschuhen und im Abendkleid den Françoise-Hardy-Schlager „Träume, die bei Nacht entstehen“ singt, geht unter die Haut. Da kann man auch mal die gefühlte Viertelstunde entschuldigen, in der er anschließend mit einer Sparhasen-Dose durchs Publikum zieht und Geld einfordert.