Ballett oder Rock’n’Roll? Eine schwere Entscheidung: „Alte Zachen“ von Nadav Zelner, hier mit Luke Prunty und Reginald Lefebvre. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart -Ob Kehrwoche machen und Spätzle schaben wirklich gegen Altersdemenz hilft? Warum nicht - viel Bewegung und mental fit bleiben, das empfahl Eric Gauthier in seiner fünften Benefiz-Gala im Theaterhaus, die mit einem Scheck über 20 000 Euro an die Alzheimer-Stiftung Baden-Württemberg endete. Gesagt, getan: Flugs musste der ganze Saal vor dem letzten Stück die Choreografie zu einem Madonna-Song lernen - die Disco-Pose von Schirmherrin Gerlinde Kretschmann stach dem um keine Pointe verlegenen Moderator Gauthier dabei besonders ins Auge.

Der Vater des Tänzers und Choreografen ist ein bekannter kanadischer Alzheimer-Forscher, seit seinem Start als Tanzdirektor setzt sich Eric Gauthier aktiv für den Kampf gegen die Krankheit ein. Unter dem Motto „Es gibt auch richtig guten Tanz in Deutschland“ hatte der Unermüdliche nicht die hochberühmten Stars aus Russland oder England eingeladen (so ein oder zwei von ihnen hätten wir schon vertragen), sondern die Freunde aus den kleineren Kompanien - eine arg emotional geratene Bach-Choreografie von Jutta Ebnother aus Schwerin zum Beispiel oder ein klassisch-virtuoses Tango-Stück von Riccardo Fernando, der nächstes Jahr Nachfolger von Ballettdirektor Robert Conn in Augsburg wird. Aus Gelsenkirchen kam ein Ausschnitt aus Bridget Breiners Ruhrpott-Aschenputtel-Adaption „Ruß“.

Voll lässiger Lebensfreude

Zu nachdenklicher Akkordeon-Musik zeigt sie ein Mädchen, das zu innerer Stärke und Freiheit findet - voll Empfindung getanzt von Francesca Berruto, ehemals Stuttgarter Ballett, und Ledian Soto.

Ein intensives und spannend getanztes Männer-Duo zu Avantgarde-Musik von Laurie Anderson schickte James Sutherland aus Kaiserslautern, etwas weniger originell ließen sich die Beiträge von Dantzaz aus dem Baskenland und des Spellbound Comtemporary Ballet aus Rom an.

Neu im Repertoire von Gauthier Dance ist „Alte Zachen“ von Nadav Zelner, wo sich zwei überdrehte Schlipsträger nicht zwischen Ballett und Rock’n’Roll entscheiden können. Der junge Israeli wird im kommenden Jahr einen Abend für junge Zuschauer im Theaterhaus choreografieren. Das kurze, turbulente Duo dient übrigens, an zahlreichen Stuttgarter Schauplätzen gedreht, auch als Kino-Trailer für das nächste Colours-Festival. Alejandro Cerrudos „Pacopepepluto“ ist so etwas wie die tänzerische Umsetzung des Jugendwortes „Läuft!“, ein Dreifach-Solo so voll lässiger Lebensfreude, dass sie körperlich einfach raus muss.

In Roberto Scafatis Fußball-Satire „Freistoß“ waren schon öfters echte Ballartisten zu Gast, dieses Mal spielten die Ex-VfBler Cacau und Timo Hildebrand mit, die mit Gauthier und seinen Mannen in Ultra-Zeitlupe mogelten, motzten und zu Boden gingen - der Saal brüllte. Zum Schluss gab es die x-te Version des „Bolero“, eine originelle Choreografie von Olaf Schmidt, einst Vorvorgänger von Birgit Keil am Karlsruher Staatstheater und heute Tanzchef in Lüneburg.

Bei einem vom französischen Film „Le Bal“ inspirierten Tanztee beäugen sich zwölf unterschiedliche Einzelgänger misstrauisch, von der kühlen Amazone übers sinnliche Vollweib bis zum gehemmten Schuhfetischisten und dem Gemächte-knetenden Macho. Nach und nach verfallen sie dem Rausch von Maurice Ravels Musik - das ist wunderbar beobachtet und wesentlich lustiger als die Stephan-Thoss-Version, die das Theaterhaus im Programm hatte. Gauthier hat Recht: Es gibt auch richtig guten Tanz in Deutschland, wir sollten uns viel öfter hier umschauen!