In Aktion: Ulla Huhn, Magdalene Braun und Heidrun Falk (von links) bei den Proben. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Lena Müssigmann

Tübingen - Mit Trommelmusik aus dem Smartphone beginnt die Theaterprobe für die Seniorinnen. Im Landestheater Tübingen sollen sie sich ausschütteln, manche hüpfen, andere sitzen, weil die Knochen nicht mehr mitmachen. „Lasst wirklich alles raus“, sagt die Leiterin der Theatergruppe Uschi Famers zu den 13 Frauen zwischen 56 und 84 Jahren. Jeden Mittwoch holt sie ihre „Purpurfrauen“ mit solchen Aufwärmübungen in die Theaterwelt. Die Lebenserfahrung, die sie dorthin mitbringen, ist Stoff für ihre Stücke. Mitte Januar stehen die nächsten Aufführungen an.

Viel zu erzählen

In Baden-Württemberg gibt es 18 solcher Seniorentheater-Gruppen, die beim Landesverband Amateurtheater bekannt sind. Nur selten entwickeln sie Eigenproduktionen unter Anleitung einer Theaterpädagogin wie Famers. Dabei haben Senioren viel zu erzählen: Sie bringen einen Erfahrungsschatz mit, aus dem sich große Geschichten stricken lassen. Und immer fittere Rentner wollen nach dem Berufsleben nicht nur im Wohnzimmer sitzen, sondern sich selbst verwirklichen. „Das strengt an, das ist gut“, sagt Ruth Sprondel über die Probe. Sie ist mit 84 Jahren eine der ältesten in der Gruppe, aber agil, mit funkelnden dunklen Augen. Im Theater fühlt sie sich gefordert, kann in eine Figur schlüpfen, mit anderen Worten sprechen. „Ich gehe freier und freudiger nach Hause“, sagt sie. Für Elke Haas (71) bedeutet die Theaterprobe, „dem Alltag etwas entgegenzusetzen“. Sie hat nach ihrem Renteneintritt eine neue Herausforderung gesucht. „Hier beschäftigt man sich körperlich und geistig mit sich selbst.“ Und: „Die Basis unserer Gruppe ist, dass man Wertschätzung erfährt, untereinander und von Uschi.“

Esther Eisele, die sich mit 90 gerade von der Gruppe trennt, aber von Anfang an dabei war, hat beim Frauentheater Selbstvertrauen gelernt. „Ich war gut vorbereitet fürs Altenheim. Ich kann mich behaupten und lasse mir keine Tabletten in den Mund stecken.“ Es sind starke Frauen, die auf der Probenbühne des LTT zusammenkommen. „Wer als Senior noch Theater spielt, der rostet nicht“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Landesseniorenrats, Eva Balz. Sie hat selbst 20 Jahre lang die Theatergruppe mit dem vielsagenden Namen Nierosta in Leinfelden-Echterdingen geleitet. Im Theater müsse man geistig fit sein, etwa fürs Textlernen. „Und man muss körperlich fit sein, um sich zum Beispiel in Nullkommanix umziehen zu können“, sagt Balz. Seniorentheatergruppen gebe es aber noch selten. Die Finanzierung sei mühsam, häufig werde mit ehrenamtlichem Leiter gearbeitet. Die Leiterin in Tübingen ist Profi. Sie wird zu einem Teil vom Theater bezahlt, zum Teil über die Eintrittsgelder der Gruppe und aus Beiträgen der Frauen.

Satire über Macht der Putzfrauen

„Seniorentheater müsste kulturpolitisch noch mehr wertgeschätzt werden“, sagt Marianne Seidel, Sprecherin für Seniorentheater beim Landesverband Amateurtheater und „Purpurfrau“. In den 90er-Jahren habe es Seniorentheaterfestivals an großen Schauspielhäusern gegeben, erinnert sie sich, was aber wieder eingeschlafen sei. Seniorentheater vermittle einen anderen Blick auf alte Leute, sagt Seidel. Ein Mädchen habe ihr einmal gesagt: „Auf der Bühne rumrobben - ich hätte nicht gedacht, dass so was mit alten Leuten möglich ist.“ Bei den Proben in Tübingen lässt Leiterin Uschi Famers ihre Schauspielerinnen Szenen improvisieren und notiert mit. Eine Dramaturgin hilft dabei, den Stoff zu einem Stück zu verarbeiten. „Ich bin Sammlerin und schaue, was jede Besonderes kann, um das größer zu machen“, sagt Famers.

Erfahrungen mit Ehe und Beziehungen waren zuletzt Thema im Stück „Ein Haufen Liebe“. Hinter den Kulissen wird schon an der nächsten Produktion gearbeitet. Sie soll sich um Altersarmut drehen. „Manche Frauen verdienen nebenher Geld, um ihre Miete zu bezahlen“, sagt Famers. Ihr schwebt eine Satire über die Macht der Putzfrauen vor. „Status wird eine Riesen-Rolle spielen.“ Der Intendant des Landestheaters Tübingen, Thomas Weckherlin, zu dessen Haus die Gruppe gehört, bescheinigt der Theaterpädagogin ein glückliches Händchen bei der Entwicklung der Stücke. „Die Seniorinnen sind sehr leidenschaftlich, weil sie endlich mal das machen können, was sie interessiert.“