Das muss mit dem Teufel zugehen: Goethes „Faust II“ als kunterbunter Come­dy-Zirkus. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Im Anfang war sicher auch das Goethe-Wort, vor allem aber eine Begegnung. Als Friedrich Schirmer, damals Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, den erfolgreichen Musicalkomponisten Martin Lingnau kennenlernte, reifte in ihm eine Idee: Goethes „Faust II“ als Zirkustheater, als rockiges und poppiges Comedy-Musical auf die Bühne zu bringen. Eigentlich eine naheliegende Berührung der Extreme: Ist doch des Klassikers gelehrtes und bekanntlich völlig unverständliches Großwerk selbst eine Art Revue des durch Mythologie und Mittelalter, heidnische wie christliche Erlösungsvorstellungen strebenden Bemühens. Lingnau - Local Hero der Hamburger Szene (neben vielem anderen komponierte er 1995 die städtische Hymne), längst aber auch im Rest Deutschlands einer der Größten der Branche - war begeistert. Mit faustischem Eifer schrieb er Musik samt Textbuch, Wolfgang Adenberg steuerte die Songtexte bei und - das Projekt blieb ein ungelegtes Ei. Schirmers Rückzug vom Deutschen Schauspielhaus kam dazwischen. Aber die Idee vom Faust-Zirkus begleitete den wiedergekehrten Intendanten an die Esslinger Landesbühne (WLB), und hier feiert „Doctor Faustus Magical Circus Part II“ heute Premiere.

Das Spektakel mit zahlreichen Schauspielern, drei Tänzerinnen und Live-Band ist sozusagen Teufels Werk und Goethes Beitrag, denn kein anderer als der höllische Mephistopheles alias Fizz lässt als Zirkusdirektor die Manegenfetzen fliegen. Und so wird der vom ersten Teil der Tragödie noch schwer angezählte Faust zunächst hold erquickt, erfindet dann als großer Finanztrickser das Papiergeld, verliebt sich in die schöne, aus mythischen Tiefen heraufbeschworene Helena, wohnt der Erschaffung eines künstlichen Menschen bei - es ist der ganze „Faust II“ in zweieinhalb Stunden, aber so, „dass ihn zum ersten Mal jeder im Publikum versteht“, verspricht Martin Lingnau. Verständnisfördernd gibt’s dazu was auf die Ohren, nämlich „Songs mit Ohrwurmqualität“ (Schirmer), zwar in englischer Sprache, aber dafür erstmals in der WLB mit Übertitelung auf Deutsch.

Dass der deutsche Texter Adenberg englische Songs schreibt, hat einen konzeptionellen Grund. Lingnau: „Goethe zitiert die damals geläufige antike Mythologie. Die Mythologie von heute ist Rock und Pop, und die Sprache der Popkultur ist nun mal Englisch.“ Das Ganze am Stück sei dann eine „Tour de force“ beziehungsweise Tour de Faust durch Pop-Stile und -Posen, ohne direkte Zitate, aber mit zahlreichen Anspielungen. Also Rock ju Göhte, irgendwo zwischen Stones und Monty Python? Einspruch, sagt Regisseur und Bühnenbildner Marcel Keller: „Man sollte nicht das Etikett des Bekannten aufs Unbekannte kleben.“ Freilich stellten sich parodistische Effekte wie von selbst ein, sagt Keller, freilich gebe es Bezüge zur Pop-Comedy. Aber: „Das Stück hat durchaus auch ernste Momente und originale Goethe-Texte. Es ist unterhaltsam, aber es wird nicht hops genommen.“ Damit es dem Publikum nicht allzu kannibalisch wohl wird, geistert ein gewisser Prof. Eckermann durchs Geschehen, naserümpfender Nachfahre des gleichnamigen Goethe-Vertrauten, gestrenger Germanist und Besserwisser. Was bei Lichte betrachtet denn doch wieder seinen eigenen Witz haben dürfte.

Die Premiere beginnt heute um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 30. September, 8., 14. und 26. Oktober.