Von Angela Reinhardt

Stuttgart -Der „sterbende Schwan“ verliert während des traurigen Solos sämtliche Federn seines Röckchens. In „La Sylphide“ hält der Ballerino statt seiner Partnerin nur die Flügelchen derselben in den Händen, während die Dame recht unschön zu Boden geht. Das klassische Ballett ist eine stark stilisierte Kunstform und fordert die Parodie geradezu heraus; hier ist sie - einen ganzen Abend lang. Les Ballets Trockadero de Monte-Carlo, von ihren zahlreichen Anhängern liebevoll „die Trocks“ genannt, sind die Satiretruppe des klassischen Tanzes. Im August gastieren sie zum ersten Mal in Stuttgart.

Gegründet wurde die nur aus Männern bestehend Kompanie 1974 eher aus Spaß, weil ein paar Ballerinos der New Yorker Off-Szene beweisen wollten, dass Männer durchaus auf Spitze tanzen können. Und wie sie können - heute haben die Trocks absoluten Kultstatus in der Ballettszene, in London oder New York liegen ihnen die Kritiker zu Füßen, eben weil sie ihre augenklimpernden Parodien mit einer faszinierenden Spitzentechnik und einem großen Herz für die Geschichte des klassischen Balletts verbinden. Ihre Auftritte sind manchmal gnadenlos albern, aber immer höchst kenntnisreich und unglaublich virtuos.

Hier sieht man endlich mal, was all die Schwäne oder Wilis so im Kopf haben, während sie in mädchenhafter Pose am Rand stehen und die Ballerina in der Mitte ihre endlosen Runden dreht: Die eine kaut gelangweilt Kaugummi, eine andere schläft ein, jemand tauscht die Telefonnummern mit dem ebenfalls genervten Ballerino.

Die Herren sind in dieser Ballettwelt nur stützende Helferlein mit Prinz-Eisenherz-Frisur, eitel und selbstverliebt. Wichtig sind die großartigen Ballerinen mit ihren extralangen Wimpern und dem extrabreiten Lächeln. Sie zicken sich durch ihre Variationen mit dem divenhaften Gehabe russischer Ballerinen, machen aus dem Verbeugen einen eigenen Auftritt. Manche dieser sorgfältig aufgerüschten Damen waren einmal die schma- len Jungs vom Rande der Ballettklasse, andere sind breite Kästen von Männern, die um so filigraner durch die schwierigsten Choreografien trippeln.

Gerne brillieren sie in Filetstücken des alten Repertoires, die man bei uns kaum mehr sieht - im kompletten „Paquita“-Finale zum Beispiel, natürlich mit allen 32 rasant hingezwirbelten Fouettés, aber hallo. George Balanchine ist nicht vor ihnen sicher, nicht einmal Merce Cunningham, der Klassiker der Moderne. Schon die Namen der Damen lassen auf eine gloriose Vergangenheit jenseits des Eisernen Vorhangs schließen, denn natürlich hat jeder der männlichen Tänzer eine weibliche Identität. Ida Nevasayneva etwa erinnert vage an einen James-Bond-Film, auch Nina Enimenimeynimova will erstmal ausgesprochen werden. Bei den Herren regiert die Familie Legupski, was übersetzt in etwa „Beinhochsky“ heißt, auch die Biografien im Programmheft sind wahre Ahnentafeln russischer Legendenbildung: „Genossin Ida erwarb sich ihren Ruf als Heldin der Revolution, als sie mühelos ein Minenfeld mit lockeren Bourrées überwand“. Hier erwachen der russische Zarenhof und das Pathos des Sowjetballetts gleichzeitig, es regieren Eifersucht, Größenwahn und Spitzenschuhen der Größe 46. Auch wenn alles ein wenig rustikaler aussieht als sonst: Es ist ein delikater Abend für Ballettliebhaber, bei dem man zwischen Glucksen und Bewunderung kaum Luft kriegt.

Les Ballets Trockadero de Monte Carlo gastieren vom 9. bis 14. August im Stuttgarter Theaterhaus.

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