Von Michael Setzer

Stuttgart - „Komm jetzt!“ zischt eine ältere Dame ihren Partner an, der eifrig die Konzertplakate im Gang der Schleyerhalle mustert. Andere haben vorsorglich auf Männer verzichtet und lieber ihre Freundinnen als Begleiter dabei. Sie halten Sektgläser hoch, lachen und diskutieren, ob die Frau eben tatsächlich hautfarbene Leggins getragen oder doch in der Eile die Hosen vergessen hat. Ihre Schuhe allerdings seien allerliebst, wenn man nicht darin laufen müsse.

Es menschelt an allen Ecken und Enden der mit 10 000 Zuschauern prächtig gefüllten und bestuhlten Schleyerhalle. David Garrett, der von der Hochkultur verschmähte „Teufelsgeiger“ wiederum scheint da mehr Anlass als der Grund. „Crossover“ ist nicht sein Problem, sondern die Brücke, die Garrett damit überschreitet: von der Klassik zum überzuckerten Eventpop.

In Jeans, T-Shirt und Sakko gibt Garrett den verhuschten Künstler. Die runde Bühne steht in der Mitte der Halle, der Teil, auf dem er sich vorwiegend aufhält dreht sich. Man soll den hübschen Kerl schließlich auch sehen können. Nur einmal versperrt etwas die Sicht: Da wird zu „Ghostbusters“ das aus dem Hollywoodklassiker bekannte meterhohe Marshmellow-„Monster“ aufgeblasen.

Begrenzter handwerklicher Aufwand

Auf seiner jüngsten Crossover-CD „Explosive“ interpretiert Garrett auch Lieder von David Guetta oder Miley Cyrus. Musik, die besonders von denen verflucht wird, die in Garrett einst das Wunderkind an der Geige für sich entdeckten und noch immer wütend sind, dass der nun lieber Rockstar sein möchte. Doch es bleibt das Recht jedes Künstlers, das eigene Talent je nach Abwägung zu verschleudern. Die Vermutung liegt nahe: Viel wurde da gar nicht verschleudert. Garrett tut, was er auch bei einem klassischen Konzert tun würde. Er spielt Geige. Lediglich sein handwerklicher Aufwand hält sich vergleichsweise in Grenzen. Der 36-Jährige verlegt sich vornehmlich auf Interpretationen von Hits wie „Superstition“ (Stevie Wonder), „Kashmir“ (Led Zeppelin), „Live And Let Die“ (Wings) oder „Lose Yourself“ (Eminem) - ab und an werden zahme Pyros gezündet oder es wirbeln Tänzer und Tänzerinnen vom Deutschen Fernsehballett um die fast 40 Musiker auf der Bühne. Ein ums andere Mal spielt sich Garrett frei von Dynamik durch die ursprünglichen Gesangsmelodien der Hits, und bemüht da kaum mehr Hingabe und Talent als andere Stehgeiger.

Lediglich bei „Music“ (John Miles) und „Purple Rain“ von Prince interpretiert Garrett tatsächlich das Original und erzwingt förmlich das Zusammenspiel mit den üppig besetzten Streichern der Neue Philharmonie Frankfurt und seiner Rockband. Bei „Furious“ wiederum flitzen seine Finger wirklich wie vom Teufel gejagt - zur Sicherheit wird das auf die Leinwände über der Bühne projiziert. In der Pause zwischen den zwei einstündigen Sets leuchtet da: „Die neue Kollektion hier erhältlich“. Wenn schlichte T-Shirts zur „Kollektion“ werden, ist das auch eine Form von Selbstverständnis. Der gefühlten Wahrheit hat Garrett längst seine eigene Note gegeben: „Rock Symphonies“, ein Parfüm mit begleitendem Duschgel. Nach „They Don’t Care About Us“ von Michael Jackson erhebt sich der Großteil der Gäste zu Standing Ovations. Einige deuten das bereits als Zeichen, den Heimweg anzutreten.