Von Verena Großkreutz

Stuttgart - „Mannheimer Rakete“ nennt man einen energischen Forte-Unisono-Einsatz, der sich in einer auffahrenden Tonleiter entlädt. Mozart beginnt damit seine Sinfonie D-Dur Nr. 31, heute als „Pariser“ Sinfonie bekannt, weil dort entstanden und 1778 uraufgeführt. Sie wurde ein Riesenerfolg. Auch wenn Mozart zunächst Zweifel hegte: „Bey der Prob war es mir sehr bange, denn ich habe mein Lebtag nichts schlechteres gehört, Sie können sich nicht vorstellen, wie sie die Sinfonie 2 Mal nach einander herunter gehudelt und herunter gekratzt haben.“

Solche Probleme hatte das Mannheimer Mozartorchester bei seinem Musikfest-Konzert im Stuttgarter Mozartsaal mit dem Werk nicht. Reinhard Goebel, Kölner Spezialist für Alte Musik, der seinen schwarzen Frack mit einem einheitlich von den Socken über den Kummerbund und die Fliege bis hin zur Brille durchgestylten Knallrot kontrastierte, leitete den Abend und feuerte das Orchester mit Power in den Armen an. Man hat das schon filigraner gehört, feiner ausgearbeitet. Goebel zeigte sich aber nicht als Mann fürs Detail, eher für den großen Schwung.

Das Mannheimer Mozartorchester spielte wie immer auf modernen Instrumenten - außer den historischen, also ventillosen Naturhörnern und -trompeten. Und letztere knallten manchmal etwas zu brutal hinein in die Töne des übersichtlich besetzten Streicherapparats. Aber die Qualität des Abends lag nicht unbedingt in der Perfektion.

Mozarts Meisterwerk als krönender Abschluss war gut platziert. Es beendete ein Programm, in dessen Mittelpunkt selten Gespieltes stand: Werke der „Mannheimer Schule“, also jenes Stils, den die Mannheimer Hofkapelle 1743 bis 1778 ausgeprägt hatte und der Mozart bei seinen Durchreisen derart beeindruckte, dass er ihn mit seinem eigenen Stil verschmolzen hat.

In Sinfonien von Christian Cannabich und Georg Joseph Vogler offenbarte sich schnell, was die Mannheimer damals berühmt machte. Sie setzten auf krass aufeinanderprallende dynamische Kontraste, eine seufzerreiche Melodik, das delikate Spiel mit räumlichen Effekten, auf Überraschung, Expressivität, wilde Crescendi, heftige Akkordeinschläge und eine ganz neuartige, sehr melodiöse Bläserbehandlung. Das alles vermittelte sich an diesem Abend voller Energie und Kraft, auch wenn so mancher Schleifer ungenau geriet und ein paar Bläserpatzer die Ohren irritierten. Eindrucksvollstes Stück des Abends war aber sicherlich das B-Dur-Klarinettenkonzert von Johann Stamitz. Goebel zog sich von der Bühne zurück und überließ das Feld dem jungen Klarinettisten Nemorino Scheliga. Der 21-Jährige brachte die unterschiedlichen Ausdruckscharaktere seines Instruments plastisch zum Sprechen, auch ihre mal verschatteten, mal charmant lockenden Piano-Töne und die farbige Weite der unterschiedlichen Register. Euphorisch sprudelte das virtuose Figuren- und Passagenwerk, innig entfaltete sich der weitgespannte Gesang des Adagios. Da spätestens war der Mannheimer Funke übergesprungen - und das Publikum hörbar beglückt.