Jannik Mühlenweg und Nurettin Kalfa. Foto: Mirbach Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - „Unsere Ballerinen sind alle bei bester Laune“ - die Ansage klingt fast wie eine Drohung, bevor im rappelvollen Theaterhaus die Trocks über Stuttgart hereinbrechen und mit ihren Ballettparodien für Jubelstürme sorgen. Noch bis Sonntag bespaßen die 17 Herren von Les Ballets Trockadero de Monte-Carlo ein Publikum aus Ballettkennern und Comedy-Fans. Eine starke Prise Albernheit muss man schon mitbringen, um die gekonnten Parodien genießen zu können, so richtig staunen lässt einen erst ein gehöriges Wissen um die Ausgangsmaterie. Wie superb tanzen doch diese Jungs, wenn sie in ihrer unnachahmlichen Freude am Ballerinen-Dasein die Beine in die Luft schmeißen und ein versonnenes „Seht wie ich schwebe“ unter den überlangen falschen Wimpern hervorblinzeln.

Hinter all der Parodie glüht eine kenntnisreiche Liebe zur Historie: So findet zum Beispiel der zweite „Schwanensee“-Akt nach der alten russischen Überlieferung mit Benno, dem Freund des Prinzen statt - dumm nur, dass der stützende Helfer einen Kopf kleiner als die Ballerina ist und trotz seiner frechen Anmaßung mehrfach unter ihrem Gewicht wegbricht. Getanzt wird nach der längst vergangenen Schneller-höher-weiter-Ästhetik des sowjetischen Balletts, wo die Ballerinen als vergötterte Kultfiguren ihre stete Konkurrenz um die Gunst des Publikums intrigant ausleben.

Perfektes komisches Timing

Herrlich sind auch die Pantomimen nach dem alten Ballett-Alphabet: Hand am Herz, Finger auf Ehering, Krönchen auf dem Kopf, Odette kommt regelrecht ins Plaudern mit den Händen und ihr ohnehin arg blonder Prinz schaut irgendwann hilflos ins Publikum. Im Lauf des Abends fließen sämtliche nur denkbaren Handzeichen in die (fast immer) wortlose Sprache der aufgerüschten Damen ein, ob mafiöser, unflätiger oder kindischer Herkunft. Zur Grundausrüstung der fabelhaften Trocks-Tänzer gehört nicht nur klassisches Training, sondern ein perfektes komisches Timing.

Ihre Parodien treffen deshalb so ins Schwarze, weil die im Überschwang interpolierten Boogie-Woogie-, Schunkel- oder Mazurka-Schrittchen stets eine hochmusikalische, nicht unplausible Alternative darstellen - wenn der alte Marius Petipa etwas lockerer drauf gewesen wäre, hätte er es sicher so und nicht anders choreografiert. Auch der kühle George Balanchine muss hier Federn lassen - „Go for Barocco“, die dezent exaltierte Antwort auf das abstrakte „Concerto Barocco“, enthüllt mit ihren berechnend eingefügten Störfaktörchen im neoklassischen Getändel, dass auch Mr. B. manchmal nur Konfektionsware geliefert hat: Wie neckisch, diese vorgestellte Hüfte, und guck mal, geflexter Fuß! Zielsicher spießen die Trocks die Manierismen des klassischen Balletts auf und sezieren sie vor unseren Augen, nur um postwendend mit wissender Liebe weiter in ihnen zu schwelgen.

Jeder einzelne Trocks-Tänzer bewegt sich vollkommen in der Persönlichkeit, die er mit seinem weiblichen Pseudonym annimmt - manche sind elegant und versnobt, andere kokett oder verwirrt, der vierte der „kleinen Schwäne“ etwa, der in seiner Begeisterung nie so recht weiß, wo’s langgeht. Diese liebevolle Vielfalt macht den Charme der Truppe aus. Technisch sind die Amerikaner, Italiener, Kubaner oder Chinesen einfach klasse, ob sie an diesem Abend in Frauen- oder (selten) in Männerrollen auftreten: Der „Corsaire“-Ballerino etwa trägt seinen Kollegen ewig lang über dem Kopf herum, wir sehen dreifache Fouettés oder die schwierige italienische Variante mit hinaufgestrecktem Fuß, erstaunlich schöne Bourrées oder perfekt fließende Arme in einem ansonsten hochdramatisch „Sterbenden Schwan“.

Version mit Schmackes

So richtig toll wird es in „Paquita“, das lange Divertissement folgt wie alle anderen Klassiker streng den alten, überlieferten Schritten. Hinreißende Variationen zeigen Olga Supphozova, Nina Immobilashvili, Yakaterina Verbosovich oder Tatiana Youbetyoubootskaya. Alla Snizova alias Carlos Hopuy schließlich kann nicht nur all die virtuosen Tricks, sie tanzt sie auch in einem so fein ausgezierten Stil, dass man ihn nahtlos vor jede große klassische Kompanie hinstellen könnte. Gegenüber der etwas anämischen echten „Paquita“, die letztes Jahr beim Bayerischen Staatsballett Premiere feierte, hat diese Version definitiv mehr Schmackes.

Weitere Aufführungen bis Sonntag im Theaterhaus.

www.theaterhaus.com