Von Thomas Staiber

Stuttgart - Die Musik von Van Morrison reicht weit tiefer als sich mit Verkaufszahlen und Charts-Platzierungen messen lässt. Den eigenwilligen Einzelgänger aus Belfast würde man hierzulande einen Bruddler nennen. Im Show-Geschäft ist „der beste weiße Blues-Sänger aller Zeiten“ (John Lee Hooker) mit seinem völligen Verzicht auf Bühnenmätzchen und Effekthaschereien die große Ausnahme. Ein sanfter Poet mit einzigartiger Ausdruckskraft und - das zeigt sich am Ende des Stuttgarter Jazzopen-Konzerts - ein durchaus höflicher Mensch, der sich vor dem jubelnden Publikum dreimal verbeugt und auf Deutsch „danke schön“ sagt.

Der Ehrenhof des Neuen Schlosses füllt sich immer mehr, als die weiche und kraftvolle Gospelstimme von Lizz Wright die Menschen anzieht. Doch Wolken verdunkeln den Himmel, es beginnt zu regnen, und Regenschirme werden aufgespannt, Capes angezogen. Die 36-jährige Jazzsängerin, eine Predigertochter aus Georgia, singt „Old Man“ von Neil Young und verkündet strahlend, sie freue sich ebenso auf „Van The Man“ wie die etwa 5000 Zuhörer. Ihre Band zieht das Tempo an, damit die Menschen sich im Regen in den Hüften wiegen können und nicht frösteln müssen. Mit ihrer wunderbaren Altstimme öffnet sie den Weg für den Auftritt des eigenbrötlerischen Bluesbarden aus Belfast.

Federnd und swingend

Der betritt die Bühne im Anzug, mit getönter Brille, Hut und geschultertem Saxophon, auf dem er zum Auftakt einen swingenden Chorus von „Moondance“ spielt, bevor er mit seiner ganz und gar unverwechselbaren Stimme zu singen beginnt: „The Way Young Lovers Do“. Da werden nicht bloß bei dem 70-jährigen Nordiren Erinnerungen wach an wilde Jugendzeiten, an „Astral Weeks“. Aus diesem hervorragenden Album von 1968, das von Publikum und Kritik gleichermaßen gefeiert wurde, stammt dieser Song, den die vorzügliche Band fast 50 Jahre später in eine geschmeidig fließende und federnd swingende Jazzatmosphäre taucht. Morrisons musikalischer Direktor Paul Moran lässt die Hammond-Orgel seufzen, um gleich darauf mit einem astreinen Trompetensolo zu glänzen, während Dave Keary geschmackvoll Gitarre spielt. Die Rhythmusgruppe agiert zurückhaltend, aber sehr effektiv, und die junge schwarze Soul-Sängerin Dana Masters bildet einen idealen Hintergrund für die große Stimme des kleinen Mannes.

Der singt voller Inbrunst mit präzisem Rhythmusgespür und tadelloser Intonation. Es ist eine helle, raue und völlig ungekünstelte Stimme, eine Stimme, die einen mitten ins Herz treffen kann. Über einem fröhlich schaukelnden Rhythmus erfahren wir, dass einem schöne Zeiten entgleiten können. Manche heben wissend die Augenbrauen, und ein Pärchen tanzt unter dem grauen Himmel Boogie-Woogie.

Ganz anders als der oft als mürrisch wahrgenommene Sänger ist seine Musik. Die swingt charmant und spricht mit ihrer beiläufigen Lyrik, die von der Weisheit des Blues inspiriert ist, die Menschen an. „Baby Please Don’t Go“ singt er über einem federleichten, aber vorwärtstreibenden Rhythmus, schwebenden Orgelklängen und klar konturierten Gitarrenriffs. Es ist der alte Delta Blues von Joe Dixon, den Morrison mit seiner Band Them schon als 19-Jähriger gesungen hat. Viele staunten damals über die eindringliche Stimme des jungen Mannes und meinten, dass sie sogar besser sei als die von Mick Jagger.

Dann singt Morrison das Eifersuchtslied „Here Comes The Night“ aus demselben Jahr 1964. Von seiner Frische hat es in der aktuellen Interpretation rein gar nichts eingebüßt. Nahtlos gehen die Songs ineinander über, und auf Ansagen verzichtet Morrison seit eh und je. Dass er überall auf der Welt geschätzt, geliebt und in seiner irischen Heimat sogar vergöttert wird, versteht an diesem kühlen Sommerabend beim Festival Jazz Open jeder, der Ohren hat zu hören.

Schon zu Konzertbeginn hatte der Regen aufgehört, nun färbt ein kleines Abendrot den Himmel. „I‘m In Heaven“ singt ein sich sichtlich wohlfühlender Van Morrison den Vers aus dem Lied „Cheek To Cheek“ von Irving Berlin, er intoniert die Ray-Charles-Nummer „I Can’t Stop Loving You“ in lockerer Honky-Tonk-Manier, bringt eine swingende Version von „Browneyed Girl“ und beendet dieses wundervolle Konzert - unweit des gleichnamigen Kinos am Schlossplatz - mit „Gloria“.