Von Rainer Kellmayer

Ludwigsburg - Mit einem rein finnischen A-cappella-Programm stellte das Stuttgarter SWR Vokalensemble bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen die reiche Chorlandschaft des nordischen Landes im Spannungsfeld zwischen Spätromantik und Moderne vor. Abwechslung gab es damit im Konzert in der Friedenskirche reichlich, Jean Sibelius‘ in der nationalen Tradition verwurzelte Chormusik stand neben Neutönerischem von Kaija Saariaho oder Einojuhani Rautavaara.

Mit „Rakastava“ (Der Liebende) beschäftigte sich Sibelius über nahezu 20 Jahre. Die Urfassung für Männerchor von 1893 arbeitete er mehrfach um, machte 1911 daraus auch eine rein instrumentale Fassung. Das SWR Vokalensemble sang die Fassung für gemischten Chor von 1898. Dirigent Marcus Creed führte seine Choristen mit engagierter Gestik, ließ die Musik atmen und schuf vielschichtige Klangbilder. Die Intonation war lupenrein und gut ausbalanciert, und da auch die Melodiesequenzen wunderschön phrasiert wurden, hörte man in der vorzüglichen Akustik der Friedenskirche eine mustergültige Interpretation.

Der heute 87-jährige Rautavaara, längst einer der angesehensten finnischen Komponisten, stand in enger Beziehung zu Sibelius. Dieser erkannte die außerordentliche Begabung des damals 27-Jährigen und förderte ihn mit einem Stipendium. „Orpheus singt“, eine Auftragskomposition von SWR und Schlossfestspielen, war jetzt als Uraufführung zu hören. Als Textbasis nahm Rautavaara die ersten drei Sonette aus Rilkes Zyklus „Sonette an Orpheus“ und setzte sie mit seiner ganz eigenen Klangsprache in Musik um. Der Chor erklomm dynamisch lichte Höhen und durchschritt tiefe Täler, zeichnete spannungsvolle Linien und gab jeder Strophe eigenes Kolorit. Ähnlich fesselnd realisierte das Vokalensemble Rautavaaras „Canción de nuestro tiempo“ und sein „Canticum Mariae Virginis“ - biegsam im Klang, dynamisch und mit präzisen Einlagen der Chorsolisten.

Kaija Saariaho, Frontfrau der finnischen Avantgarde, hat ihr Werk „Nuits, adieux“ von 1993 ursprünglich mit elektronischen Elementen gespickt. Doch auch die Fassung für gemischten Chor überrascht mit sich überlagernden Stimmaktionen wie Zischen, Murmeln, Grummeln und ostinatem Sprechgesang. Nachdem sich der vokale Sturm im Zentrum des Opus beruhigt hatte, vereinigten sich die Stimmgruppen zu einem rhythmisch zischenden Apparat, der an eine Dampflokomotive erinnerte.

Nach dem aufrüttelnden „Kuun Kirje“ der beim Konzert anwesenden Riikka Talvitie zeigte Jukka Linkola in den sechs pointierten Sätzen von „Mieliteko“, dass sich kompositorischer Ernst und Humor nicht ausschließen. Linkola, in seiner Heimat ein prominenter Jazz-Musiker, schafft mühelos den Spagat, lässt immer wieder Jazzelemente durchschimmern und garantiert mit unkonventionellen Wendungen für einen hohen Spaßfaktor. Die perfekte Umsetzung durch Creed und das Vokalensemble tat ein Übriges. Ovationen in der Friedenskirche.

Mit demselben Programm tritt das SWR Vokalensemble am 1. Juli (20 Uhr) und am 2. Juli (18 Uhr) in der evangelischen Kirche in Stuttgart-Gaisburg auf.