Kämpfe zwischen Kulturen: Martin Wißner (links) und Juan Pablo Troncoso finden in der Produktion „Nimby“ keine gemeinsame Sprache. Foto: Taake Quelle: Unbekannt

Von Elisabeth Maier

Heidelberg - Auf einem schmalen Grat balancieren die Entwicklungshelfer in der deutsch-chilenischen Produktion „Nimby - Not In My Backyard“ (deutsch: Nicht in meinem Hinterhof). In dem Projekt des Theaters Heidelberg mit dem Collectivo Zoológico aus Chile zeigen die Schauspieler Gräben auf, die sich zwischen Deutschen und Südamerikanern auftun. Arrogant beraten deutsche Entwicklungshelfer die Menschen in Südamerika. Ihr vermeintliches Medien- und Marketingtraining schießt am Ziel vorbei. Hilflos sehen die Chilenen zu, wie ihr Projekt scheitert.

In klaren, manchmal poetischen Bildern erzählt der Autor Juan Pablo Troncoso von der Ungleichheit, die Deutsche und Chilenen nicht wegdiskutieren können. Im Mittelpunkt steht ein Ökokollektiv, das um seine Unabhängigkeit kämpft. Und es geht um den Bau einer Mauer, die die Welten noch weiter trennen soll. In einem Traumraum hat Regisseur Nicolàs Espinoza das griffige Polit-Theater in Szene gesetzt. Mit Videotechnik und Musik gelingt ihm ein magisches Szenario, das auch wunde Punkte beherzt zur Sprache bringt.

Die schmerzhafte Suche nach einer neuen Identität der Südamerika ner zieht sich wie ein roter Faden durch die Produktionen, die noch bis einschließlich 18. Februar beim Festival „Adelante“ (deutsch: vorwärts) des Theaters Heidelberg zu sehen sind. Bühnen und Kollektive aus zehn Ländern sind bei dem außergewöhnlichen Festival zu erleben, das Intendant Holger Schultze und sein Team gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes, dem Land Baden-Württemberg und anderen Kooperationspartnern möglich gemacht haben. Schirmherr ist der frisch gewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmaier, der den Kraftakt des Stadttheaters in der Universitätsstadt unterstützt hat. Die „künstlerischen Netzwerke“, die bei einem solchen Festival entstehen könnten, sieht der ehemalige Außenminister als „große Chance“.In Gesprächsrunden und Diskussionen berichten die Theatermacher von ihrem Leben. Deren Arbeitsbedingungen sind sehr viel härter als in Deutschland. Viele müssen nebenbei andere Jobs machen, weil sie von der Theaterkunst alleine nicht leben können.

Dennoch fasziniert die ästhetische Qualität der Auswahl. Die Vielfalt der lateinamerikanischen Theatersprachen zu zeigen, ist den Kuratoren des Festivals schon zum Auftakt geglückt. Und die Künstler spiegeln die politische Situation in den Ländern, die von Drogenkriegen, Krisen und Gewalt geschüttelt sind. Welches Ausmaß die gesellschaftlichen Kämpfe in der männlich geprägten Latino-Kultur haben, zeigt die kubanische Produktion „Backstreet Boys“ packend.

In der körperbetonten Tanz-, Musik- und Textperformance beschäftigen sich Regisseur José Ramòn Hernández und die großartigen Schauspieler mit den Schicksale sogenannter Straßenjungen, die sich in Kuba prostituieren. Mit Interviews, Tanz und assoziativer Musik beleuchten die Spieler aufs Schönste die Schattenseiten der maskulin dominierten Welt Kubas. Für schwule Männer und Transsexuelle ist in dieser Welt nur in Hinterhöfen Platz. Mit einer Konsequenz, die tief berührt, peitschen sich die Spieler an körperliche Grenzen. Die politische Dimension des Themas vermittelt das Kollektiv Osikán mitreißend.

Starke Stimmen lateinamerikanischer Autoren bringt der brasilianische Theatermacher und Philosoph Felipe Hirsch in seinem mehr als dreistündigen Abend zur „lateinamerikanischen Tragödie“ zum Klingen. Da denken Schriftsteller über den Verfall der Werte im iberoamerikanischen Raum nach. Mit riesigen Styroporquadern inszeniert Hirsch eine Welt, die aus den Fugen gerät. Obwohl die Produktion nicht nur wegen der Sprachbarrieren durch ihre Komplexität abschreckt, kommt der Kampf der Menschen um Würde und Identität in den poetischen Texten schön zum Tragen.

www.adelante-festival.de