Vor dem Geschlechterrollentausch: Petr Zuskas Pas de deux „Déjà vu“ mit Alina Nanu und Giovanni Rololo. Foto: Stuttgarter Ballett Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Es war eine besondere Ballettdirektorenkonferenz: Acht aktuelle oder designierte Direktoren diskutierten auf der Bühne des Opernhauses, alle sind sie aus dem Stuttgarter Ballett in Reid Andersons Intendanz hervorgegangen. Das Festival, mit dem beim Stuttgarter Ballett das 20-jährige Jubiläum des kanadischen Ballettchefs gefeiert wird, begann mit einem ungewöhnlichen Ballettabend und diesem Reigen sympathischer Spitzenkräfte, die Karriere gemacht haben und doch offensichtlich gerne nach Hause zurückkehren.

Jeder hat eine andere Geschichte

Vielleicht lag es an der vertrauten Umgebung, vielleicht an der entspannten und so kompetenten Moderation von Pressesprecherin Vivien Arnold, dass derart offen über den Umgang mit Tänzern, Politikern, Publikum, Vorgängern oder Kollegen gesprochen wurde. Jeder hat eine andere Geschichte, viele gehen durch knallharte Bewerbungsgespräche, andere wurden aus dem Blauen heraus angerufen, wie Bridget Breiner vom Gelsenkirchener Intendanten, oder jahrelang bekniet, wie Sue Jin Kang von den südkoreanischen Kulturoberen. Der „eiserne Schmetterling“ der Kompanie, der sich am Freitag endgültig von der Bühne verabschieden wird, leitet das Koreanische Nationalballett und hatte nach 30 Jahren Herzlichkeit im Schwabenland ernste Probleme, sich wieder an die zeremonielle asiatische Höflichkeit zu gewöhnen. Bis sie sich Reid Andersons Maxime „Sei du selbst!“ vergegenwärtigte - jetzt umarmt sie die Minister zur Begrüßung und gestaltet Budgetverhandlungen auf ihre eigene Art.

Wie kommt man mit dem Amtsvorgänger klar, übernimmt man die Tradition einer Kompanie oder will man einen Neubeginn? Genau wie Tamas Detrich in Stuttgart arbeitet auch Filip Barankiewicz in Prag eng mit Noch-Direktor Petr Zuska zusammen, bevor er im nächsten Sommer übernimmt. Christian Spuck dagegen bekam in Zürich erst mal Hausverbot vom eitlen Heinz Spoerli. Bridget Breiner folgte auf eine 33-jährige Tanztheater-Ära und musste sich überlegen, wie man das Publikum mit Ballett neu abholt. Robert Conn war Stuttgarter Applausausmaße gewohnt und staunte bei seinem Antritt in Augsburg nicht schlecht, als sein Publikum nach zwei Minuten zum Parkplatz stürzte; inzwischen hat er es mit Qualität auf zehn Minuten hochtrainiert.

Eric Gauthier gibt sich bescheiden

Hochtrainiert hat auch Ivan Cavallari seine Kompanie: Er verdoppelte durch geschicktes Verhandeln die Tänzerzahl beim West Australian Ballet. Derzeit leitet er das Ballet du Rhin im Elsass, ab nächster Spielzeit übernimmt er die renommierten Grand Ballets Canadiens in Montréal - auch dank Reid Anderson, wie er erzählte. Eric Gauthier hat seine Kompanie ebenfalls von sechs auf 16 Tänzer vergrößert. Er bekannte in einem Anfall seltener Bescheidenheit, dass er auch heute „lieber Mercutio bleibe“ denn Romeo, will heißen: lieber der Joker mit der mittelgroßen Kompanie in Stuttgart als der Staatstheaterballettchef. Angebote gibt es zur Genüge. Aber er würde wohl den Kaffeeklatsch mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn vermissen.

Dass sie ihren Tänzern mit Respekt begegnen, ob es nun 110 oder 14 sind, dass sie alle Humor haben und zur Selbstironie neigen - das sind vielleicht die größten Gaben, die diese Direktoren bei Reid Anderson gelernt haben. Sie sind Pragmatiker, geduldige Arbeiter und doch unverbesserliche Idealisten, genau wie der Mann, der sie entdeckt und gefördert hat. Fünf von ihnen brachten am Vorabend denn auch ihre Tänzer mit nach Stuttgart, wegen Ferien fehlten nur die Kompanien aus Zürich und Straßburg beim Ballettabend „Next Generation“. Ob klassisches oder modernes Ballett, ob fetzige Männer-Trios mit schrägem Unterhaltungswert oder Eigenbrötlerisch-Nachdenkliches: Überall wird intensiv an einem eigenen Profil gearbeitet.

Martialisch und doch feminin

Mutig war der Versuch eines symphonischen Balletts im modernen, erdverbundenen Stil - Benvindo Fonseca packte für die Gelsenkirchener Kompanie auch noch einen Hauch Pina Bausch und Kylián drauf, eine interessante Mischung. „Conrazoncorazon“ von Gauthier Dance sieht mit seiner prätenziösen Jockey-Eleganz wie der Vorspann zu einem frühen James-Bond-Film aus; Choreograf Cayetano Soto zeigte seine dunkle Seite dann mit dem existenzialistisch angehauchten „Fugaz“ aus Augsburg. Highlights waren der lakonische und gleichzeitig virtuose Tausch-die-Geschlechterrollen-Pas-de-deux „Déjà vu“ von Petr Zuska vom Tschechischen Nationalballett und als krönender Abschluss das elegante „Into the Pulse“ von Hyo-Hyung Kang aus Korea: fließend und doch rasant, martialisch und doch feminin, mit abstrakten Kanten und doch voller Anspielungen. Und in fast jeder Kompanie trifft man Ex-Stuttgarter: Francesca Berruto beim Ballett im Revier, Theophilus Vesely in Augsburg, Katja Wünsche, William Moore und Alexander Jones im Filmeinspieler, den Christian Spuck als Werbe-Gruß mitgebracht hatte, oder Thomas Lempertz als Kostümbildner. Stuttgart ist nicht das Zentrum der Welt, aber definitiv einer der Fixsterne der Ballettwelt.