Mit der Diskantgambe geht Jordi Savall auf Geschichtsreise durch ein kriegerisches Europa. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - Eine musikalische Zeitreise durch ein Jahrhundert europäischer Geschichte: Das ist Jordi Savalls Projekt „Krieg und Frieden“, welches nun auch bei den Ludwigsburger Festspielen im Forum zu hören war. Beeindruckend ist schon die Zahl der Mitwirkenden, die der katalanische Gambist, Dirigent und Erforscher Alter Musik hier um sich versammelt hat. Seine von ihm gegründeten Instrumentalensembles Hespèrion XXI und Le Concert des Nations, sein zehnstimmiges Vokalensemble La Capella Reial de Catalunya, und dazu die vier bulgarischen, griechischen und türkischen Musiker auf ihren orientalischen Instrumenten entfalten ein abwechslungsreiches musikalisches Panorama einer Zeit zwischen Schlachten und Friedensschlüssen.

In sieben Kapitel hat Jordi Savall seine historische Erinnerungsreise unterteilt. „1613: Das Osmanische Reich überfällt Ungarn“ - als Prolog reizt ein Türkischer Marsch die Ohren, die gezupften und mit Hämmerchen angeschlagenen Saiten von Oud (Laute) und Santur (Hackbrett) werden von Pedro Estevan mit einer Landsknechttrommel rhythmisch grundiert, die Kaval-Flöte aus der Ferne mit urtümlichen Blasinstrumenten unterstützt. Das Massaker an Frankfurter Juden (1614) ruft ein aramäisches Klagelied zum Pessachfest in Erinnerung. Wie in ein Wechselbad der Gefühle stürzt Savall die Zuhörer mit Samuel Scheidts „Battaglia“, prächtig instrumentiert mit Zinken, Flöten und Barockposaunen: ein musikalisches Schlachtengemälde, das wiederum im krassen Gegensatz steht zur spanischen Romanze „Ya es tiempo de recoger“, deren Text von Lope de Vega zur Belagerung der niederländischen Stadt Breda durch spanische Truppen 1624/25 passen könnte.

Johann Hermann Scheins Motette „Zion spricht: Der Herr hat mich verlassen“ bildet dann, vokal und instrumental ausdrucksvoll musiziert, einen Ruhepunkt - im Frieden von Prag war es 1635 zu einer Einigung zwischen dem Kaiser und den Reichsständen gekommen. Doch bald entzündeten sich neue Kriegsherde. Eine „Pavane pour la petite guerre“ und ein türkischer Makám illustrieren diese Ereignisse, Johann Rosenmüllers Motette „Siehe an die Werke Gottes“ feiert das Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Ihre Botschaft klingt tröstlicher als Jean-Baptiste Lullys triumphalistisches „Jubilate Deo“, das Spaniens Übergabe des Roussillon an Frankreich im Pyrenäen-Frieden 1659 begleitete.

Stücke wie Charpentiers als Eurovision-Hymne bekannt gewordenes „Te Deum“ von 1678 oder Händels „Utrechter Te Deum“ zum Ende des Spanischen Erbfolgekriegs 1713 künden von der feierlichen Erleichterung nach solchen Friedensschlüssen, während in Joan Cabanilles „Batalla Imperial“ die kriegerische Motivation genauso spürbar ist wie in einem weiteren, von Schalmeigetön angefeuerten Makám aus einem vom Moldawischen Gelehrten Dimtrie Cantemir am Osmanischen Hof aufgezeichneten Manuskript. Savall lässt dem eine bewegende orthodoxe Marienmotette Wassili Titows folgen.

Wenn er nicht dirigiert, mit ist Savall mit seiner Diskantgambe in allen Stücken präsent. Und als Katalane liegt ihm das Klagelied „Catalunya en altre temps“ besonders am Herzen, dessen Lamentation über die Kapitulation Barcelonas und die Eingliederung in den spanischen Zentralstaat eine ganz gegenwärtige Dimension anspricht.

Zum Schluss zieht Savall, von der Unesco 2008 zum „Künstler für den Frieden“ ernannt und 2014 mit dem Spanischen Kulturpreis ausgezeichnet (den er wegen der „kulturfeindlichen Politik“ des Landes zurückwies), ein Fazit aus all den Kriegsgeschichte. Er plädiert für Mut zum vereinten Europa, trotz aller Brüche, Schwierigkeiten und Animositäten: mit Worten so glaubwürdig wie authentisch in der Musik.