Kreditgeschäfte im Mittelalter: Ein jüdischer Geldwechsler leiht einem Adligen Geld (nachträglich kolorierter Holzschnitt, Straßburg 1487). Fotos: AKG Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Merkwürdige Zeiten sind das. Die Europäische Zentralbank flutet zur Eindämmung der Folgen der Finanzkrise die Märkte weiterhin mit billigem Geld, die Staatsverschuldung in der Euro-Zone steigt teilweise weiterhin gefährlich an, während die Zinsen auf Sparbücher, Lebensversicherungen und Bausparverträge in einen beispiellosen Sinkflug übergegangen sind und so gut wie keine Erträge mehr abwerfen. Das schon geflügelte Wort von den historisch niedrigen Zinsen gilt, wie britische Wissenschaftler festgestellt haben, angeblich selbst in einem Betrachtungszeitraum von 5000 Jahren. Inzwischen sind aus Mini- gar Negativ- oder Strafzinsen geworden. Damit wurde nicht nur die profane Finanzmarktlogik ins Gegenteil verkehrt, sondern auch die moderne Metaphysik des Geldes ad absurdum geführt.

Über viele Jahrhunderte hinweg wurde im jüdisch-christlichen Kulturkreis das Zinsnehmen mit schändlichem Wucher gleichgesetzt und verboten. Vor diesem Hintergrund leben wir heute in paradoxen „Wucherzeiten“. Das billige Geld regiert mehr denn je die Welt, zugleich bewegen sich die modernen Geldmärkte mit ihren extrem niedrigen Zinsen, von den heute oft als „Wucher“ empfundenen Dispo-Zinsen einmal abgesehen, denkbar nahe am uralten Ideal des zinslosen Geldgeschäfts. Auf der anderen Seite war man schon im Mittelalter, nicht anders als heute, hoch kreativ, wenn es darum ging, Finanzmarktregeln zu umgehen oder auszuhebeln. Kapital und Kirche - das war von Anbeginn an eine ebenso symbiotische wie konfliktreiche Geschichte.

Gott oder Mammon

„Niemand kann zwei Herren dienen“, heißt es im Neuen Testament - „ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“. Schon im Alten Testament hatte es unmissverständlich geheißen: „Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen, weder für Geld, noch für Nahrungsmittel, noch für irgendetwas, was man gegen Zins verleiht“. Hier wird nicht unterschieden zwischen einem moderaten Zins und dem sprichwörtlichen Wucher. Allerdings, und das wurde für die jüdisch-christlichen Kreditbeziehungen im Mittelalter bedeutsam, war laut Bibel der „Ausländer“, also der Nicht-Jude, von diesem Bruderethos ausgenommen.

Unerlaubter Profit

Das generelle Zinsverbot der biblischen Schriften wurde von den Kirchenvätern ebenso aufgenommen wie von den Konzilien. „Wucher heißt, mehr zu erhalten, als man gab“, lautet die Faustregel bei Ambrosius von Mailand sowie bei Hieronymus; und noch im sogenannten Decretum Gratiani, einer Kirchenrechtssammlung aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, findet sich die Definition, dass alles, was über das ausgegebene Kapital hinaus zurückgefordert wird, unerlaubter Gewinn und also Wucher sei.

Unter dem Einfluss der neuen christlichen Staatsreligion wurde die im römischen Recht grundsätzlich erlaubte Zinsnahme zwar nicht beseitigt, doch wurden die Sätze nach unten korrigiert. Nach justinianischem Recht galt im Normalfall ein Zinssatz von sechs Prozent, für Kaufleute und Geldhändler waren es maximal acht Prozent. In der Zeit Karls des Großen wiederum wurde das strikte kirchliche Zinsverbot in die weltlichen Rechtsbestimmungen aufgenommen. In dem Maße freilich, wie im Hochmittelalter Handel und Geldwirtschaft vor allem in den Städten florierten, wurde die harte Linie des Zinsverbots von findigen Theologen und Juristen durch moralisch begründete Ausnahmetatbestände bereits aufgeweicht: Danach konnte - vorausgesetzt, dass der Zinssatz moderat gehalten wurde - ein Zinsgeschäft geduldet werden, wenn dadurch beispielsweise ein Menschleben gerettet werden konnte.

In einer Welt, für die Fegefeuer, ewige Verdammnis und Höllenqualen reale Bedrohungen darstellten, darf die Wirkung der zeitgenössischen „medialen“ Einschüchterungsstrategien nicht unterschätzt werden. In den Predigten der Franziskaner- und Dominikaner-Mönche wurde nicht anders als in der Kunst ein wahres Horror-Kino inszeniert, um die Schäflein vor den Folgen der Kreditgeschäfte zu warnen. Man sieht in Gemälden und Text-Illustrationen, wie Teufelsbestien über Wucherer herfallen oder wie diese noch in der Hölle schmorend mit einem Beutel um den Hals unbelehrbar nach Gold und Geld gieren. Die Sünde des Wucherers wog schwerer als bestimmte weltliche Verbrechen, weshalb die Amtskirche schweres Geschütz auffuhr und dem unbußfertigen Wucherer mit Exkommunikation und Verweigerung der kirchlichen Bestattung drohte.

Auch wenn die Schockbilder ihre massendisziplinierende Wirkung nicht verfehlt haben dürften, legt die Intensität, mit der die Kirche das Verbot von Zinsgeschäften einschärfen zu müssen glaubte, eher nahe, dass es zumal in der Praxis des frühkapitalistischen, zunehmend „vernetzten“ Wirtschaftens eher weniger streng eingehalten wurde. Kein Wunder, weltliche wie geistliche Fürsten, Grafen, Städte, Könige und nicht zuletzt die Päpste selbst hatten steigende Investitionen zu finanzieren. Die Verwaltung in den sich herausbildenden Territorialstaaten, städtische Infrastrukturmaßnahmen, die repräsentativen Hofhaltungen des Adels und nicht zuletzt Mittel für Söldner in den zahlreichen und teils langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen kosteten Geld, viel Geld. Über Abgaben und Steuern allein ließ sich das kaum noch finanzieren.

Mit der zunehmenden Monetarisierung des Handels seit dem Hochmittelalter schlug auch die Stunde der Geldhändler. Obwohl es historisch betrachtet nicht stimmt, hat sich schon damals das Zerrbild des raffgierigen Wucherers, wie ihn später Shakespeare mit seinem Shylock im „Kaufmann von Venedig“ so stereotyp wie menschlich anrührend porträtierte, am jüdischen Geldhändler festgemacht. Jüdische Finanziers, die aus kirchlicher Sicht nicht zur christlichen Gemeinschaft zählten, konnten mit Christen Zinsgeschäfte machen, während Juden untereinander ebenfalls an das biblische Zinsverbot gebunden waren. Der Geldhandel war für die Juden, denen der Zugang zu den Zünften verschlossen worden war, eine wichtige Nische geworden, aber sie besaßen keinesfalls ein Monopol. Vielmehr gab es in dem Maße, wie die Kreditwirtschaft wuchs, immer mehr christliche Konkurrenten, die sich über Privilegien, auch solchen von geistlichen Fürsten, in die eigentlich verbotenen Geldgeschäfte einkauften. Zu den auch in Deutschland äußerst erfolgreichen Geldhändlern gehörten Kaufleute aus Oberitalien, die nach ihrer Herkunft Lombarden hießen und für ihre deftigen Zinsaufschläge - im Verzugsfall drohten schon mal deutlich über 100 Prozent - berüchtigt waren.

Soziale Ausgrenzung

Die Stigmatisierung der unliebsamen Konkurrenz der jüdischen Geldhändler als Inbegriff des seelenlosen Wucherers konnte in einem Klima der Judenfeindlichkeit besonders gut gedeihen. Dieser frühen Form des Antisemitismus, die in Krisenzeiten besonders virulent wurde und auch während der großen europäischen Pest im 14. Jahrhundert eine furchtbare Pogromwelle ausgelöst hatte, spielten obrigkeitliche Restriktionen und Landesverweisungen von Juden ebenso in die Hände wie kirchliche Erlasse mit diskriminierenden Kleidervorschriften und Umgangsverboten. Gewiss, es gab auch weltliche und geistliche Fürsten, die sich hinter ihre jüdischen Finanziers stellten. Doch aufs Ganze gesehen förderte die staatliche und kirchliche Schaukelpolitik die soziale und ökonomische Ausgrenzung der Juden.

An der Etablierung neuer Kreditinstrumente, mit denen sich das kanonische Zinsverbot elegant umgehen ließ, waren mit Gabriel Biel und Konrad Summenhard auch zwei hochkarätige Gelehrte aus dem Dunstkreis des württembergischen Grafen, ersten Herzogs und Tübinger Universitätsgründers Eberhard im Bart beteiligt. Von seinen Lehrern Biel und Summenhard beeinflusst, hat sich der in Rottenburg bei seinem Onkel aufgewachsene spätere Luther-Gegner Johannes Eck für die Durchsetzung eines kirchenrechtskompatiblen Dreistufen-Vertragsmodells stark gemacht, das der Fugger-nahe Theologe unter anderem 1515 in einer Disputation an der hoch renommierten Universität von Bologna verteidigte. Darin war eine moderate, fünfprozentige Gewinnbeteiligung vorgesehen. Diese pragmatische Lösung im Rahmen eines mehrteiligen partnerschaftlichen Kapitalvertrags blieb nicht unbestritten, setzte sich schließlich aber durch.

Auf protestantischer Seite schloss man mit der liberaleren Position des Schweizer Reformators Calvin schon früh Frieden mit dem Kapital. Der Genfer Theologe hatte, anders als der hier noch eher mittelalterlich denkende Luther, mit Zinsgeschäften keine Probleme - Reichtum an sich war für ihn nichts Verwerfliches, solange man mit den Gewinnen verantwortungsvoll umging.

In den Gesetzen der weltlichen Obrigkeiten und Städte, die in der frühen Neuzeit im Zuge der Rezeption des Römischen Rechts ohnehin zwischen legalem Zins und Wucher unterschieden, wird ähnlich wie bei Eck ein Zinssatz in Höhe von etwa fünf Prozent als gerechtfertigt angesehen.

Dass sich die Römische Kurie, die nicht erst seit dem jüngsten Vatikanbank-Skandal als Wirtschaftsmacht in Erscheinung getreten ist, nach wie vor schwer tut, einmal getroffene Entscheidungen zu korrigieren oder weltferne Vorschriften einzukassieren, zeigt sich nicht zuletzt beim Zins-Thema. Auch beim faktisch bedeutungslos gewordenen Zinsverbot hat man den geräuscharmen Korrekturmodus einer klaren Kommunikation vorgezogen. Wie bereits das Papsttum im 19. Jahrhundert machte auch das aktuelle kirchliche Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici von 1983, lieber einen Bogen um das Problem.