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Von Carolin Sokele

Handzeichen, Bewegung, Mimik: Am vergangenen Samstagnachmittag hat die Gebärdensprache den Eingang der Württembergischen Landesbühne dominiert, die Stimmung war ausgelassen. Kurz vor 15 Uhr hatte sich eine große Menschentraube vor dem Theater versammelt. Der Grund: Die Aufführung der Komödie „Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni, inszeniert durch den Verein Deutsches Gehörlosen-Theater, stand auf dem Programm.

Das Stück, das vollständig in Gebärdensprache aufgeführt wird und eine Untertitelung auf einer Leinwand anbietet, zog ein buntes Publikum an. Gehörlose, Hörgeschädigte und Hörende kamen, unter ihnen auch Dolmetscher und Besucher, die privat oder beruflich mit Gebärdensprache zu tun haben. „Die Gehörlosen-Szene weiß von dem Stück. Sie ist gut vernetzt, und wenn es so etwas gibt, dann kommen viele dahin“, sagt Andreas Schuck, Sozialpädagoge am Berufsbildungswerk Paulinenpflege Winnenden.

Das gut 200 Jahre alte Theaterstück dreht sich um die verzwickte Lage des Truffaldino alias Rafael-Evitan Grombelka, der heimlich den Dienst bei einem zweiten Herrn angetreten hat, um sich endlich satt essen zu können. Sein erster „Herr“ ist Beatrice Rasponi alias Athina Lange, die nach ihrem Geliebten Florindo alias Eyk Kauly sucht und dabei in der Verkleidung ihres getöteten Bruders reist. Der zweite Herr von Truffaldino wird ausgerechnet Florindo und das Chaos aus Lügen und Heimlichkeiten nimmt seinen Lauf.

Dabei hält schauspielerisch jede Rolle ihre eigene Herausforderung bereit. „Beatrice ist für mich ein extremer Kontrollfreak, sie ist sehr manipulativ, trotzdem hat sie so eine Verletzlichkeit“, sagt Athina Lange (siehe Infobox). Besonders schwierig seien die kleinen Umbrüche gewesen, Szenen in denen Beatrice zeige, dass sie eine Frau ist. Für Lange ist es das erste Stück, in dem ausschließlich Gebärdensprache auf der Bühne verwendet wird. „Die Bühnen-Gebärdensprache ist ein Kaliber für sich. Eine Mischung aus 3D-Gebärden, Pantomime, Körper, Mimik, Dynamik und Rhythmus.“ Darin sieht auch Rafael-Evitan Grombelka eine große Herausforderung. „Ich muss doppelt so groß gebärden als sonst, damit es bei allen Zuschauern ankommt. Das ist wie bei hörenden Schauspielern, die müssen auch doppelt so laut auf der Bühne sprechen“, sagt Grombelka.

„Die Perücken sind der Knaller“, sagt die Besucherin Ann-Katrin Wicht - und bringt damit die Begeisterung vieler Besucher über die aufwendigen Kostüme sowie ausgefallenen Perücken auf den Punkt, die sich die Schauspieler während des Stücks auf der Bühne anziehen. „Das war super. Am Anfang war noch nichts da. Und mit den Kostümen kam der Wandel zur Perfektion“, lobt Olaf Brostowski vom Verein Coda (Children of Deaf Adults - Kinder gehörloser Eltern).

Auch Rita Mohlau ist begeistert: „Wir haben fantastische gehörlose Künstler, die brauchen Raum, um das zeigen zu können. Die Gehörlosen-Gemeinde braucht Kultur, auch in ihrer eigenen Sprache.“ Und genau in der gehen Publikum und Schauspieler am Ende des Theaterstücks auseinander. So gibt es kein tosendes Händeklatschen des Publikums, sondern ein Meer aus ausgestreckten, sich bewegenden Händen: die Geste für Applaus.

Interview mit der Schauspielerin Athina Lange

Athina Lange verkörpert die Figur Beatrice Rasponi. Sie erklärt, warum die Mimik beim Gehörlosen-Theater besonders wichtig ist.

Haben Sie sich von Beginn an auf Gebärdensprache in der Schauspielerei fokussiert?

Athina Lange: Ich habe eine bilinguale Ausbildung gemacht - Lautsprache und Gebärdensprache. Und auch die hörenden Schauspieler mussten Gebärdensprache lernen. Die Stücke wurden bilingual aufgeführt.

Welchen Einfluss nimmt Gebärdensprache auf die Schauspielerei?

Lange: Die Körpersprache ist extrem auffällig und auch die Mimik. Das liegt daran, dass uns der Sinn „Hören“ fehlt. Und größtenteils auch dem Publikum. Wir müssen versuchen, den Sinn des Textes so rüberzubringen, dass er ankommt. Die Mimik muss den Zuschauer in der letzten Reihe erreichen. Bei Hörenden geht es mehr um die Stimme.

Ihre Muttersprache war Lautsprache. Wie schwierig ist es, Gebärdensprache zu lernen?

Lange: Ich bin mit 20 Jahren ertaubt. Beim Lernen habe ich automatisch umgestellt. In meinem Gebärdensprachen-Kurs habe ich am schnellsten gelernt, für Hörende ist es wahrscheinlich schwieriger. Die sind fokussiert auf die Ohren, aber wir Gehörlosen sind mehr visuell fokussiert. Wirklich tiefergehende Gebärdensprache lernt man über Kontakte zu anderen. Das ist wahrscheinlich in jeder Sprache so.

Wie ist es, im Alltag in Gebärdensprache zu kommunizieren?

Lange: Dadurch, dass mein Freund hört, meine Familie hört, bin ich mehr auf das Sprechen fokussiert. Natürlich habe ich gehörlose Freunde, aber ich benutze Gebärdensprache im Alltag nicht sehr oft.

Was würde den Alltag von Gehörlosen erleichtern - etwa im Blick auf Medien?

Lange: Es wäre toll, wenn es immer Untertitel geben würde. Wir brauchen die Informationen auch. Allgemein freut man sich einfach, wenn jemand beim Einkaufen an der Kasse sitzt und „Danke“ in Gebärdensprache sagen kann. Auch wenn es Gebärdensprache in Deutschland als Wahlfach geben würde, wäre das toll. Dann gäbe es eine Grundlage.