Von Martin Mezger

Ludwigsburg - Eigentlich braucht man dafür ein Rezept für Antidepressiva. Denn wer mal hören will, wie Musik so richtig runterziehen kann, ist bei der Passacaglia aus der c-Moll-Violinsonate Heinrich Ignaz Franz Bibers an der richtigen Adresse. Extremistisch wie immer steigert der geniale Salzburger Hofkapellmeister des späten 17. Jahrhunderts den tiefen Ernst zur Beklommenheit. Wie bleiern zieht die Violine ihre Trauerränder über dem stets wiederholten Ostinato-Bass, einem Skandieren der vergänglichen Zeit, unerbittlich bis zum Exitus aus dem Jammertal. Es ist dies Musik für gefestigte Gemüter, fähig, die hohe Kunst im Depri-Sound zu goutieren.

Tja, die Zeiten waren eben nicht so toll im damaligen Österreich. Wer der Pest entkam, dem dräuten die Türkenkriege oder umgekehrt. Kein Wunder, dass der österreichischen Barockmusik ein Tonfall der Melancholie eignet. Oft klingen die Werke wie mit Brillanten geschmückte Skelette, manchmal aber auch wie der liebe Augustin auf dem Pestleichenhaufen: erfüllt von drastisch-sarkastischem Humor. Darin liegt die Spannung dieser Musik, und der Geiger Gunar Letzbor ist ihr Prophet. Zusammen mit der Generalbasstruppe seines Ensembles Ars Antiqua Austria gastierte er bei den Ludwigsburger Festspielen in der Schlosskirche mit Violinsonaten aus einer Sammlung des Wiener Minoritenkonvents.

Letzbors Ton ist sonor, dicht und schwerblütig, kann aber auch aufblühen, launig maunzen oder kantig-grantig dazwischenfahren. Ideal jedenfalls für die sinnierenden, brütenden Passagen etwa in einer Sonate Buonaventura Vivianis, einem von vielen stilprägenden musikalischen Gastarbeitern aus Italien im barocken Österreich. Letzbor trifft exakt den „sprechenden“, heftig kontrastierenden Gestus dieser Musik, die in rhapsodischer Freiheit die dramatische Klangrede der frühbarocken Oper aufs Instrumentale überträgt. Und er meistert jene bizarr aufgeladene Virtuosität des österreichischen Violinstils: Nach Werken von Bertali, Schmelzer und anderen feiert sie abermals bei Biber extremistische Triumphe, in seiner F-Dur-Sonate. Letzbor fetzt noch das Äußerste an teufelsgeigerhafter Dämonie heraus aus diesem Tumult an Trillern, Skalen, Melodiebrocken, die eine Art barocken Flamenco streifen, dann Musikzertrümmerung bis hin zu rammender Zwei-Akkorde-Motorik treiben: furios, atemberaubend, unerhört. Punkrock ist ein Dreck dagegen.

Ein Mitschnitt des Konzerts wird am 25. August, 13.05 Uhr, auf SWR 2 gesendet.