Aus seiner surrealen Bild-Idee machte Frieder Grindler ein Theaterplakat. Foto: Kunstverein Esslingen Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Das Schwere ist das Unauffällige, das sich trotzdem unauslöschbar in die kollektive Wahrnehmung brennt. Zum Beispiel das Logo der Deutschen Bahn. Niemand steht mit staunend offenem Mund von den beiden Buchstaben D und B in ihrem gerundeten Rechteck, dennoch ist das Firmensignet sofort identifizierbar. Was harte kreative Arbeit voraussetzt. Auf einem Videofilm von Ulrich Bernhardt sieht man die Hände Kurt Weidemanns zeichnen und verwerfen, probieren und experimentieren, begleitet von Kommentaren des Schriftgrafikers und Schöpfers nicht nur des DB-, sondern zahlreicher weiterer prominenter Logos: eine Dokumentation des anspruchsvollen Wegs von der freien zur angewandten Kunst. Zu sehen in der neuen Ausstellung „Schrift, Bild, Zeichen“ des Esslinger Kunstvereins in der Villa Merkel.

Spatzen auf dem Draht

Die von Christian Gögger kuratierte Schau begibt sich mit Arbeiten von 16 Künstlerinnen und Künstlern ins Spannungsfeld zwischen freier Grafik, Grafikdesign, Schriftkunst und deren diversen Anwendungen in der Werbung, als Markenzeichen, Logo, Plakat oder TV-Kennung (wie Frieder Grindlers Spatzen auf dem Draht für die Einführung der Dritten Programme in den 70er-Jahren, damals Anstoß für eine ganze Serie „tierischer“ Trailer, Pausenbilder, Vorspänne). Weil der deutsche Südwesten besonders reich gesegnet ist mit Meistern der zu gebrauchenden Künste, setzt die Ausstellung auch einen regionalen Akzent. Die meisten der präsentierten Künstler haben sogar einen mehr oder weniger ausgeprägten Bezug zu Esslingen.

Historisch greift die Schau mit der Rekonstruktion eines abstrakten, aber Tischlein-deck-dich-Assoziationen weckenden Wandbilds von Willi Baumeister für die Stuttgarter Werkbundausstellung 1924 in jene Zeit zurück, als sich die Emanzipation des Gebrauchswerts von Kunst vehement in Szene setzte: beflügelt von lebensreformerischem Pathos und dem Ziel, Welt und Menschheit durch Ästhetik im Alltag zu verbessern. Zumindest eine pathosfreie Erkenntnisscheibe kann man sich noch heute davon abschneiden: Angewandte Kunst ist - salopp gesagt - keine Kunst, die auf den Strich geht, sondern die sich besonderen ästhetischen Herausforderungen stellt.

Sie heben die Spannung zwischen kreativer Freiheit und Gebrauch nicht auf, sondern schlagen Brücken von der Erfindung zu jener konzisen Fasslichkeit, die visuelle Kommunikation in Gang setzt. Diesen Prozess dokumentiert die Ausstellung, indem sie freie und angewandte Arbeiten einzelner Künstler konfrontiert. Dabei zeigt sich etwa bei Anton Stankowski, dass eigenständige Bild-Ideen der Zweckbestimmung vorausgehen: Spielerisches wie Mondgesichter oder Kussmünder als Augen, spiralförmig Abstraktes oder baumartig Verästeltes formieren eine graphische Sprache, die beispielsweise auch sein Esslinger Kreissparkassen-Logo von 1994 mit seiner sich verzweigenden Gestalt prägt.

In einem ganz anderen Metier folgt Frieder Grindler demselben kreativen Prinzip: Seine an Magritte erinnernden Fotomontagen - etwa der in einer geblümten Sessellehne verschwindende Oberkörper eines rauchenden Herrn - sprechen bildwitzig für sich selbst und erfahren erst in der Anwendung als Theaterplakat (wie sie Grindler auch für die Esslinger Landesbühne entwirft) einen inhaltlichen Zweck.

Mathematik wird Mystik

Bei dem 2011 in Baltmannsweiler gestorbenen Hans-Peter Hoch, bekannt unter anderem durch seine bunt stilisierten Läufer-Strichmännchen für die Leichtathletik-EM 1986 in Stuttgart, wird der Bezug zu geometrischer Abstraktion und Op-Art-Effekten offenkundig. Der Esslinger Produktdesigner Rolf Garnich überschreitet mit seiner freien Grafik - kristalline Strukturen von großer Raumwirkung - die Grenze vom Mathematischen zum Mystischen. Barbara Wojirsch - eine der wenigen im Grafikdesign erfolgreichen Frauen - schuf mit ihrem Design für das Plattenlabel ECM prägnante Kombinationen von Schrifttypen und Handschrift, streift graphisch den kritzelnden Reduktionismus Cy Twombly: ebenfalls ein Beispiel für die freien Impulse des Angewandten. An die konkrete Poesie knüpfen die Schriftarbeiten Andreas Uebeles an, 2009 Neugestalter des Bundeswappens, konzeptionell zugespitzt ist sein Gemeinschaftswerk mit Karin Sander, eine Verschriftlichung von Besucherreaktionen in der römischen Villa Massimo.

Jan Henderikse hängt Supermarkt-Werbeplakate an eine Wäscheleine und dreht damit den Spieß um: Gebrauchsgraphik erklärt er zu freier Pop-Art. Bei Chris Rehberger, jüngerer Bruder des aus Esslingen stammenden Tobias Rehberger, verschmilzt beides: Kunst wird zur Marke und umgekehrt. In einen Teppich eingewoben rollt der erfolgreiche Designer und Technolabel-Mitbetreiber seine Aktionen von der Biennale in Venedig bis zum Guggenheim in New York aus - nicht ohne Spiegel am Rand als ironisches Narzissmussymbol.

Bis 23. Oktober. Öffnungszeiten: dienstags von 11 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.