Die Reformer setzen auf einen Frühling der Erneuerung unter Papst Franziskus (r.), hier zusammen mit dem emeritierten Papst Benedikt. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Carsten Linnhoff

Münster - Es war ein Aufschrei in der katholischen Kirche. Mehr als 300 deutschsprachige Theologen muckten 2011 auf, stellten Reformforderungen in Richtung ihrer Bischöfe und in Richtung Rom. Es war die Zeit vor Papst Franziskus, der aus Argentinien kam und heute im Kleinwagen durch Rom fährt und Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa im Mittelmeer die Hand reicht. 2011 war der heute emeritierte Papst Benedikt XVI. noch zwei Jahre im Amt. Kritiker sprechen von einer Eiszeit, von Winter, ohne Hoffnung auf Frühling.

Doch dann kam am 4. Februar 2011 der im Geheimen vorbereitete Vorstoß: Die Unterstützer veröffentlichten eine Liste mit Forderungen, riefen zu einem echten Neuanfang auf. Getrieben wurden sie vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und einer tiefen Kluft zwischen den Bischöfen und dem Papst und den Gläubigen.

Reaktionen waren offiziell kritisch

Als Mittel gegen den Priestermangel forderten sie, verheiratete Männer sowie Frauen als Priester zuzulassen. Die Gläubigen sollten außerdem bei wichtigen Entscheidungen mitreden und vor allem mitentscheiden können. Gottesdienste müssten moderner werden. Außerdem dürften Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene nicht ausgegrenzt werden. „Wir wenden uns an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen“, betonten die Theologen.

Die Reaktionen der Bischof waren offiziell kritisch, unter der Hand gab es Zustimmung. Einige, wie Felix Genn in Münster, äußerten deutlich auch bei öffentlichen Veranstaltungen ihren Ärger. „Er fühlte sich unter Druck gesetzt von dem Memorandum und hat das auch in meine Richtung so deutlich geäußert“, sagt der Mainzer Theologe Gerhard Kruip der Deutschen Presse-Agentur; er zählt zu den Initiatoren. „Wir haben damals Kollegen von der Unterschrift abgeraten. Wer nur einen Zeitvertrag als Kirchenlehrer hatte, sollte sich bewusst nicht angreifbar machen“, erinnert sich Kruip.

Ob das Memorandum auch beim damaligen Papst Wirkung gezeigt hat? „Das ist heute schwer zu sagen. Bischof Marx hat mal so Andeutungen gemacht“, sagt der Theologe. Aus den Bistümern gab es sehr unterschiedliche Signale. Die Bischöfe Robert Zollitsch (Freiburg) und Franz-Josef Bode (Osnabrück) waren laut Kruip auch nicht begeistert. Sie sprachen sich aber für den Dialog in der Sache aus.

Der Historiker Thomas Großbölting vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster ordnet den Streit ein: „Es war eine Auseinandersetzung zwischen zwei immer kleiner werdenden Eliten: den Konservativen in der Amtskirche auf der einen Seite und den progressiven Theologen vor allem in Universitäten und Akademien auf der anderen Seite.“

Praktisch allerdings hat das Memorandum nach seiner Einschätzung kaum etwas bewirkt: Weder gebe es heute mehr Rechtssicherheit im Kirchenrecht noch Verbesserungen für kirchliche Angestellte, ganz zu schweigen von Frauen als Priester. Das sieht auch Mitunterzeichner Thomas Schüller so. Der Theologe aus Münster hofft deshalb jetzt nach der Familiensynode im vergangenen Herbst auf den Papst. „Ende März kommt es zum Schwur, wenn dann endlich Ergebnisse vorgestellt werden sollen“, sagt Schüller. Nach seiner Meinung hat der Papst einen unglaublichen Schub gebracht: „Beim Thema Ehe und Sexualität hat Franziskus dafür gesorgt, dass wieder angstfrei über die Themen diskutiert werden kann.“

Kluft teilweise noch größer

Im Verhältnis zwischen Bischöfen und Theologie-Instituten sei die Kluft nach dem Memorandum an einigen Standorten wie Münster noch größer geworden, sagt Schüller. Bei der Forderungen nach mehr Mitspracherechten für die Gläubigen sei der Papst weiter als die deutschen Bischöfe. „Franziskus hat gesagt, der Papst allein kann nichts. Aber dann muss er jetzt auch liefern und aufzeigen, wie die Bischöfe Macht abgeben können.“

Dorothea Sattler vom Ökumenischen Institut in der Uni Münster hat das Memorandum nicht unterschrieben. Die Professorin passte die Form der Kritik nicht. Sie war ihr zu knapp und wissenschaftlich zu wenig unterfüttert. „Der Streit ist in Rom registriert worden. Es gibt aber keinen kausalen Zusammenhang zu den späteren Veränderungen im Vatikan“, sagt Sattler.