Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Die Sieger kamen diesmal von außerhalb der Stuttgarter Kompanie: Ein Japaner aus Lyon und ein deftiges Plattl-Ballett waren die Abräumer beim diesjährigen Noverre-Abend. Wenige Tage vor dem Welttanztag am 29. April, dem Geburtstag des großen Balletttheoretikers Jean Georges Noverre, stellten sich zwölf Choreografen mit zehn Uraufführungen im Schauspielhaus vor.

Ideen haben sie durchaus, und hingebungsvolle Interpreten ohnehin, aber sehr viele der jungen Erst- oder Zweittäter spielen zunächst mit den Bewegungsfloskeln, die sie kennen. So nutzt etwa Noan Alves in „Venus“ zwar den Raum sehr schön, reihte aber strukturlos zwei Teile aneinander. Alisa Scetinina hat ihre Musik selbst komponiert und verharmlost dadurch ihre sympathische Beziehungskiste. Das kurze Duo von Robert Robinson und Adam Russell-Jones stellt mit viel modernem Lebensgefühl vor allem die unbestrittenen Bewegungsqualitäten seiner beiden Choreografen heraus. Ihr ganz eigenes Ding ziehen Alexander McGowan und Enes Comak in „Fraternal / Stories“ durch. Mit geschmeidigen Spins oder durch die Arme laufenden Wellen arbeitet McGowan konsequent weiter an seiner Mischung aus Ballett und Breakdance.

Moderner Tanz zur Quetschkommode

Dass Pablo von Sternenfels Jazz liebt, weiß man von seinen tollen Projekten mit Magnus Mehl im Theaterhaus; nun hatte der Mexikaner seinen Saxofon spielenden Bruder Santiago und die Kontrabassistin Fuensanta Mendez zum experimentellen Free Jazz mitgebracht. Lasziv und mit subtilem Rhythmusgefühl schmiegte sich von Sternenfels in diese Musik, am Schluss so tief, dass er sich äußerlich kaum mehr bewegte.

Gute Ideen, aber noch nicht das vollständige Vokabular dafür hat die junge Italienerin Aurora de Mori: Sie geht auf die Musik ein und kann mit Gruppen arbeiten, aber es fehlt an Stringenz. Guilherme Carola von der Mannheimer Akademie des Tanzes spielt mit dynamischen Kontrasten, setzt mit einer Zombie-artig zuckenden Ballerina überfallartige Pointen mitten in die Klassik. Es gehört durchaus Mut dazu, sich auf eine gute Musik einzulassen - zu einer Elegie von Igor Strawinsky schuf Alessandro Giaquinto ein tief empfundenes, eigenwilliges Stück, auch er auf der Suche nach der Seele wie Aurora de Mori. Seine drei Ballerinen inspirierte er zu ungekünstelter Melancholie.

Ein fast lakonisches Verhältnis fand Tadayoshi Kokeguchi vom Ballett der Opéra Lyon in „Fences“ zur ersten Cello-Sonate von Johannes Brahms. Das beste Stück des Abends erinnert an Jirí Kyliáns surrealistische Schwarzweiß-Periode und lenkt den Blick auf die Schönheit einzelner Bewegungen. Der Japaner treibt eine in sich verbundene Gruppe durch Lichtkreise, lässt sie skurril einfrieren oder sich wie ein belebtes Denkmal voranschleppen. Die Vielzahl der Bewegungseinfälle, die unterschwellige Ratlosigkeit, die raffinierte Dynamik: Viele Kompanien wären dankbar für so ein Stück im Repertoire.

Dustin Klein stammt aus Landsberg am Lech und tanzt beim Bayerischen Staatsballett. Warum nicht mal moderner Tanz zur Quetschkommode, dachte er sich, und lässt zwei Bauernburschen ihre zarte Psyche nach außen stülpen. Im schummrigen Scheunenlicht tanzen sich die zwei gestandenen Russen Nikita Korotkov und Ilia Sarkisov zu urbayerischer Gaudi-Musik innerlich frei - knochentrocken und mit heiligem Ernst. Pirouetten werden an den Ohren angeschuckt, gefolgt von rustikalen Bauern-Fouettés, der Einfälle ist kein Ende. Und Dustin Klein setzt immer noch eins drauf, einen lyrischen Teil, wo die beiden Burschen an der Erde horchen, ein virtuoses Körperplatteln, das in einem Bier auf ex kulminiert. Man darf dem lustigen und dabei brillant choreografierten „Wer ko der ko“ voraussagen, dass es in den kommenden Jahre durch sämtliche Galas Deutschlands gereicht werden wird.