Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - 16 sängerisch und darstellerisch anspruchsvolle Figuren an einem Opernabend im Wilhelma-Theater: Die Stuttgarter Opernschule zeigt mit ihrer neuesten Produktion ein großes Aufgebot an jungen Talenten, und die Studierenden der Bachelor- und Master-Klassen der Musikhochschule verkörpern ihre Rollen mit bravourösem Elan.

Zwei extrem unterschiedliche Einakter haben Bernhard Epstein, der künstlerische Leiter der Opernschule, und sein Regisseur Bernd Schmitt zu einem höchst spannenden Musiktheater verknüpft: Elliott Carters 1998 von Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper Unter den Linden uraufgeführtes Werk „What next?“ und Giacomo Puccinis „Gianni Schicchi“.

Unfallopfer unter Leichentüchern

Ein Unfall ist der Ausgangspunkt der lyrisch expressionistischen Opernparabel des 90-jährigen Carter. Die Inszenierung radikalisiert die Situation der sechs Protagonisten zu einem existenziellen Moment zwischen Beckett und Sartres „Geschlossener Gesellschaft“: Zwischen Spiegelwänden liegen die Unfallopfer unter Leichentüchern nebeneinander, ein Schlagzeugvorspiel markiert die Schwelle, über die die Figuren in einen neuen Zustand erwachen. Zischlaute formen sich zu ersten Wörtern, „star“ mutiert zu „startle“ (erschrecken) und „starkest“ (ungeheuer krass); in den folgenden 38 kurzen Episoden versuchen die fünf Erwachsenen vergeblich, Kommunikation aufzubauen oder zu einer gesicherten Identität zu gelangen. Kid (ein Junge) bleibt in der Beobachterrolle, sein letzter Schrei - „What?“ - markiert den Schluss des furiosen sängerischen Palavers. Die Partie der Rose (Victoria Kunze) ist dabei mit unzähligen Koloraturen und Extremintervallen besonders dominant, ihr Bräutigam Harry or Larry (Vladislav Pavliuk) agiert mit hektischen Achteltriolen, Mama (Manuela Vieira) wird durch Harfe und Sprechgesang charakterisiert, Zen (Sandro Machado) bevorzugt meditative Quinten, Stella (Sophia de Otero) überspringt ihre dissonanten Dezimen mit Marimbabegleitung. Sängerisch gelingt diese polytonale Tour de force großartig, und im erweiterten Stuttgarter Kammerorchester setzen die Studierenden der Bläser- und Schlagzeugklassen der Musikhochschule kräftige Akzente.

Mit einem Tod beginnt Puccinis komödiantische Farce „Gianni Schicchi“: Die Verwandten des reichen Buoso Donati sind zur Verteilung des Erbes zusammengekommen, doch der hat seinen Besitz der Kirche vermacht, und das soll mit allen Mitteln verhindert werden. Schmitt lässt das Ganze in der kaum veränderten Bühne von „What next?“ spielen, nur die besitzgierige Bagage hat Birgit Angele im Stil einer Rocky Horror Picture Show ausstaffiert. Donatis Cousine Zita (Joyce de Susa) und ihr Neffe Rinuccio (Roman Poboinyi) zetern am lautesten in der achtköpfigen Sippschaft, überhaupt geht es in dieser Puccini-Adaption heftig und deftig zur Sache, auch im von Epstein angeheizten Orchester. Als schließlich der zu Hilfe gerufene Gianni Schicchi (Arthur Cangucu) mit Dreiviertelmaske wie ein Wiedergänger der Mischpoke aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ erscheint, singt seine Tochter Lauretta (Haeyeon Lee) ihr berühmtes „O mio babbino caro“ mit anschließender Heulsirene, während sich das Ensemble in Bauchkrämpfen windet (wohl eine ironische Anspielung auf solche Opernohrwürmer).

Dem Glück steht nichts im Wege

Schicchi diktiert dem herbestellten Notar in der Rolle des sterbenden Donati ein neues Testament (natürlich zu seinen Gunsten) in die Feder, und so steht dem Heiratsglück von Lauretta und Rinuccio samt Maultier, Mühlen und Donati-Domizil nichts mehr im Wege. Auch in Puccinis turbulentem Opern-Einakter geben die Studierenden ihr Bestes, in den übrigen Rollen spielen José Carmona, Birte Markmann, Pascal Zurek, Philipp Franke, Johannes Mooser, Vanessa Looß und Johannes Fritsche.

Weitere Vorstellungen finden heute und am 5., 8., 10., 12. sowie am 14. Februar im Stuttgarter Wilhelma-Thea ter statt (Tel. 0711-9548840).