Eine ganz normal verkrachte Familie (von links): Andreas Hutter als toter Vater, Sabine Bräuning als Linda, Gesine Hannemann als Franziska und Boris Burgstaller als Uli. Foto: Patrick Pfeiffer Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Eine so traurige wie banale Situation: „Papa ist tot.“ Lindas Anruf versammelt die vier Geschwister im elterlichen Haus neben dem verstorbenen Vater, früher Chefarzt in einer Ulmer Universitätsklinik, dann an Parkinson erkrankt, seit 13 Jahren Witwer - und zuletzt ziemlich altersgeil. Im ganzen Haus hat er Pornobilder aufgehängt, die ungarische Pflegekraft sorgte allem Anschein nach nicht nur für sein gesundheitliches Wohl. Ein Alarmsignal. Deshalb geht es neben der Leiche um das, was sie hinterlässt. Hat der Alte sein Testament gar auf die „ungarische Hure“, so die geschwisterliche Sprachregelung, ausgestellt? Das Ferienhaus am Lago Maggiore hatte er ihr bereits überschrieben, die Kinder haben versucht ihn entmündigen zu lassen. Was zusätzliches Bangen ums Testament weckt, das Lindas Ex, ein Münchner Staranwalt, in Verwahrung hat.

Es ist eigentlich keine besonders raffgierige Meute, die Karl-Heinz Otts 2015 erschienener Roman „Auferstehung“ an der Bahre aufmarschieren lässt. In der Wiege lagen die vier Geschwister, Jahrgänge 1946 bis 1959, in jener bundesrepublikanisch prägenden Zeit zwischen Kriegsende, Wirtschaftswunder und Babyboom. Der von der Kritik gefeierte Roman, den Matthias Fontheim für die Esslinger Landesbühne dramatisiert und inszeniert, zeichnet das Bild einer Generation, deren Biographien vom Pfad wirtschaftlicher Solidität abweichen ins „Halbkünstlerische“, so Fontheim, in die Freiberuflichkeit oder auch in die politisch aufmüpfige Selbstverwirklichung. Sie können sich‘s ja leisten, die Honoratiorensprösslinge aus der Ulmer Halbprovinz, welche der in Ehingen an der Donau geborene Autor bestens kennt. Man knappst mit mehr oder weniger brotlosen Professionen herum, geht aber davon aus, dass man doch immer wieder auf die Füße fällt. Und die Zukunft sichert Papis Testament, wie die Geschwister stillschweigend dachten. Bis dann eben das letzte Stündlein schlägt und das Drama einsetzt.

Fontheim hat seine szenische Fassung genau auf diesen zentralen Plot ausgerichtet. Er weiß, dass Roman-Dramatisierungen eine Kunst des Weglassens sind, deshalb verzichtet er auf „Rückblenden und Seitenstränge der Erzählung, um die Theatersituation herauszufiltern“. Und diese serviert der Roman gleichsam auf dem silbernen Tablett: mit den Gesprächen zwischen den Geschwistern, aus denen sich individuelle Geschichten, aber auch ein Zeitporträt herauskristallisieren. Linda, die einzige Tochter, sieht sich als große Macherin, dabei hat sie die Leitung eines Memminger „Art Hauses“ nur ihrem Gatten zu verdanken, dem Chef der dortigen Volkshochschule. Über ihre Brüder zieht sie - nicht ganz grundlos - als Versager her. Uli, der mit drei Kindern immerhin als einziger den Familiennachwuchs sichert, schlägt sich mit kargem Lohn als Waldorfschullehrer durch, Jakob lebt als erfolgloser freier Fernsehjournalist in Paris, und Joschi, der Älteste, ging in der 68er-Zeit als kleiner Rudi Dutschke auf die Barrikaden, gab wortreich den ewigen Studentenführer, veruntreute schließlich Gelder - und manchen dürfte seine Geschichte bekannt vorkommen: Ott hat hier den realen Fall des 2015 gestorbenen Ali Schmeißner aufgegriffen, langjähriger Tübinger Studentenaktivist, durch Spielsucht auf die schiefe Unterschlagungsbahn geraten.

Fontheim will das Drama einer „ganz normal verkrachten Familie“ im Wohnzimmer-Bühnenbild von Elisabeth Pedross nicht als Komödie, wohl aber als bitterkomisches Schauspiel inszenieren. Diese Bitterkeit, so Dramaturg Marcus Grube, zollt der Erfahrung Tribut, dass „für die Geschwister die meisten Züge, auf die sie aufspringen wollten, schon abgefahren sind.“

Die Premiere beginnt heute um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 21. März sowie am 1., 7., 21. und 27. April.