Sorgt mit dem ersten Ton für eine Sogwirkung: Avishai Cohen. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Thomas Staiber

Nun hat sich die Investition in ein Zeltdach über dem Hafenmarkt doch gelohnt. Am Sonntag prasselte der Regen auf das Rund und begleitete als natürlicher Soundtrack den dritten Abend des Esslinger Jazzfestivals. Malte Dürrschnabel, Saxophonist des Quintetts „Subtone“, das den ersten Teil des Doppelkonzerts bestritt, hatte die Lacher auf seiner Seite: „Das Geräusch gefällt uns, weil es wie permanenter Applaus klingt.“

Wie wichtig New York als Drehscheibe des modernen Jazz ist, zeigte sich an diesem Spätsommerabend in Esslingen. „Subtone“ wurde einst von blutjungen Musikern in Berlin gegründet, die dann in Köln und New York Jazz studierten und sich im Haifischbecken des Big Apple auf dem umkämpften Musikmarkt durchsetzten. Heute zählt das Kollektiv zu den besten jüngeren Jazzformationen Deutschlands. Die fünf talentierten Jazzer, alle Anfang dreißig, schafften es, das Publikum in Festivalstimmung zu versetzen. Mit scharf konturierten Bläsersätzen und bravourösen solistischen Leistungen, die sich über einem brodelnden Rhythmus entfalteten, begeisterten sie die Zuhörer.

Ein paar Stunden länger hat es gedauert, bis Trompeter Avishai Cohen aus Tel Aviv in New York gelandet war, wo er an der Manhattan School of Music studierte und sich im renommierten Smalls Jazz Club eine stetig wachsende Fangemeinde erspielt hatte. Inzwischen ist der 38-jährige Israeli als weltbekannter Trompeter in seine Heimat zurückgekehrt. Seine aktuelle Welttournee führte ihn nun nach Esslingen. Cohen spielte Kompositionen und Improvisationen aus seinem ECM-Album „Into the Silence“ und sorgte damit für einen Höhepunkt. In Tel Aviv begleitete Cohen die Sterbezeit seines Vaters. Es dauerte lange, bevor er sich danach selbst musikalisch ausdrücken konnte. Um es mit dem französischen Schriftsteller Victor Hugo zu sagen: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber es unmöglich ist zu schweigen.“

Das wird auch für die Zuhörer deutlich: Aus den unendlichen Weiten des Universums und den Tiefen der Seele scheint sein Trompetenton zu kommen. Cohen wird von pulsierenden Kontrabassklängen und überraschenden Rhythmusakzenten des Schlagzeugers begleitet. Yonathan Avishai steuert vom Flügel aus die musikalischen Abläufe und fächert effizient die Harmonien auf. Darüber strahlt die Trompete des in sich gekehrten Cohen, der mit schwarzem Schlapphut und dichtem Vollbart ein wenig aussieht wie ein Siedler in Neuengland aus dem 17. Jahrhundert. Durch die Intensität und Klarheit seines Jazz entsteht vom ersten Ton an eine Sogwirkung, der sich das Publikum nicht entziehen kann.

Wegen ihrer reduzierten Skizzenhaftigkeit geht die Musik den Menschen besonders nahe. Vor allem dann, wenn das Tempo anzieht und Cohens Virtuosität aufblitzt, die an Miles Davis und Chet Baker denken lässt. Das Esslinger Publikum erlebt Jazz, der sich aus großer Intimität zu eruptiver Wildheit steigern kann und wieder behutsam zurückfindet in die Stille, „Into the Silence“.

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