Von Martin Mezger

Ludwigsburg - Ein Einspielstück, aber sie spielt es nicht so. Schon Joseph Haydns eher bescheidenes G-Dur-Violinkonzert wird bei Isabelle Faust zum Ohrenöffner für die große Kunst der Geigerin, die zuvorderst eines auszeichnet: der Verzicht auf alles Gekünstelte. Fausts geradlinige und zugleich unglaublich feinsinnige Interpretation trifft das gewisse Etwas der Phrasierung mit einer Eleganz, dass selbst schablonenhafte Figuren ins Tanzen geraten, als blitzte in ihnen der Schwung der Genialität auf. Ebenso licht wie sehnig-kraftvoll zeichnet Fausts Violinklang musikalische Gestalten von charakteristischer Prägnanz, und mit untrüglichem Gespür stellt sie die präzis ausgestanzten Läufe und Verzierungen eben nicht nur etüdenhaft in den Raum, sondern fügt sie in den kompositorischen Spannungsbogen.

Der historischen Aufführungspraxis verpflichtet, setzt Faust das Vibrato nicht als stehgeigerhaftes Dauerwummern, sondern als wohldosiertes Mittel gesteigerter Tonbelebung ein. Dass sie Brillanz nicht mit Brillantine verwechselt, bezeugt den vollendeten Einklang von Sensibilität und musikalischem Verstand in ihrer Interpretationskunst. Und Fausts hellwaches Temperament erregt zudem den Lebensnerv rhythmischer Agilität und markanter Energie selbst in diesem Haydn-Werklein der zweiten Garnitur. Dessen rustikaler Charme und sporadischer Esprit funkeln nicht zuletzt dank des fulminanten Mailänder Originalklang-Orchesters Giardino Armonico in Giovanni Antoninis Leitung wie Preziosen ins voll besetzte Auditorium dieses bravourösen Ludwigsburger Festspielkonzerts im Forum.

Erst recht gilt das natürlich für die entwickelteren, geistreich experimentierenden Violinkonzerte Mozarts. Deren erstes in B-Dur, noch verhältnismäßig konventionell, spielt Faust mit unverzärtelter Grazie im Kopfsatz, schlackenloser Kantilene im Adagio, flitzender Virtuosität im Finale. Das Meisterwerk in D-Dur gerät ihr zu einem elektrisierenden Wirbel der Klangcharaktere, der melodischen Gestalten, der kompositorischen Pointen: näher am Dramatiker Mozart (und damit an der Partitur) als am faden „apollinischen“ Klischee. Dabei inszeniert Faust keine aufgesetzte Teufelsgeigerei, sondern zündet mit straffer Elastizität die rhythmische Verve des Kopfsatzes, dreht im Andante cantabile keine Mozartkugeln, sondern gibt der Sanglichkeit wahre, also unsentimentale Empfindung. Im Rondo-Finale lässt sie die Geige schon mal munter walzern, und wie sie die Auftakte lässig in Energieschübe schlenzt, ist so federnd elegant wie ihr ganzer Solotanz auf Mozarts genial-witzigem Taktwechselparkett. Besser geht‘s nicht, auch nicht im Orchesterpart, den der Giardino Armonico prächtig auffächert.

In Haydns 64. Sinfonie schärft das Ensemble, das in einem Langzeit-Projekt sämtliche Sinfonien des Meisters einspielt, expressiv die Kontraste, gibt dem Largo abgründige Todesnähe, kehrt im Finale mit seiner Folklore-Motivik vehement ins Leben zurück: ein erregender Höhepunkt in einem Konzert aus lauter Höhepunkten.