Gebrochene Geistesgrößen interessieren Peter Ruzicka. Foto: W. Beege Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - 22 Jahre alt war Peter Ruzicka, als Paul Celan vermutlich am 20. April 1970 in die Seine, in den Freitod sprang. Ruzicka hatte den Dichter ein paar Wochen zuvor in Paris besucht. Eine irritierende Begegnung: „Ein wortarmes Gespräch“, sagt Ruzicka heute. Die Todesnachricht habe ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Ein Blick in den Abgrund.

Peter Ruzicka, Komponist und von 2002 bis 2006 Leiter der Salzburger Festspiele, war jetzt zu Gast im 13. Komponistenporträt der Cannstatter Konzertreihe Musik am 13. Moderator des Gesprächskonzerts zu Ruzickas Ehren in der Cannstatter Stadtkirche war Björn Gottstein, Leiter der Donaueschinger Musiktage.

Beeindruckt von Paul Celan

Seine emotionale Reaktion auf die Schocknachricht von Celans Tod habe er in seinem zweiten Streichquartett „Fragment“ verarbeitet, erklärte Ruzicka. Dieses Werk sei denn auch sein gefühltes Opus 1, seine künstlerische Selbstfindung. Celan, dessen Schicksal und Werk - etwa sein berühmtes Gedicht „Todesfuge“ - eng mit dem Holocaust verbunden waren, hat den Komponisten nie wieder losgelassen. 1998/99 entstand seine Celan-Oper. Doch bereits „Fragment“ ist eine Art Requiem für den Dichter. Fünf Miniaturen, fein gespielt vom Lotus Streichquartett, zeigen Ruzickas Kunst, die stets fasslich bleibt: atonal, aber emotional. Aphoristisch wie Anton Weberns Musik. Momentaufnahmen wie Lyrik: von spinnwebartiger Zartheit, gläsern und dünnhäutig, nervös huschend, breit aufheulend, stockend und flirrend. Und dann plötzlich: elegischer Mahler-Ton pur. Brüchige Spätromantik. Ein Zitat aus dem Fragment von Mahlers Zehnter Sinfonie. Sie war damals ein Thema im wortkargen Gespräch mit dem Dichter.

Ruzicka kann als Komponist weitgehend unabhängig arbeiten dank einer steilen Intendantenkarriere, die ihn nicht nur nach Salzburg, sondern auch zur Münchner Biennale führte. Seit vergangenem Jahr ist er Geschäftsführender Intendant der Salzburger Osterfestspiele. Auch als Dirigent ist er höchst aktiv - oft mit eigenen Werken im Gepäck.

Es seien „die Wunden des 20. Jahrhunderts“, die ihn kompositorisch umtrieben, sagte er im Gespräch mit Gottstein. Also besteht ein großer Teil seines Oeuvres aus Requien, „In Memoriam“-Werken, Trauergesängen wie „Tombeau“ (Grab) für Flöte und Streichquartett, das in Cannstatt mit dem exzellenten Solisten Thomas von Lüdinghausen erklang. Gottstein unterstrich Ruzickas Vorliebe für zentralen Figuren der Geistesgeschichte, die in sich gebrochen waren: Walter Benjamin etwa, der im Zentrum eines aktuellen Musiktheaterprojekts steht, das 2018 auf die Bühne kommt. Und Hölderlin. Der Komponist hat großen Respekt vor der Dichtung, glaubt, dass Musik sie schnell zerstören könne und sie dann „wie eine Schneeflocke wegschmilzt“. Und man merkt diesen Respekt den fünf Klavierliedern des Hölderlin-Zyklus „Und möchtet ihr an mich die Hände legen“ von 2007 an, die etwas blass wirken, weil Bariton Emanuel Fluck sich darin vor allem im Sprechgesang-Modus bis hin zur reinen Rezitation artikulieren muss. Das klingt, als sänge da einer im Dunkeln, um sich Mut zu machen.

In den Celan-Vertonungen „Gestalt und Abbruch“ von 1979 kann dagegen das Vokalensemble Cantus Stuttgart glänzen. In der Leitung von Jörg-Hannes Hahn entfalten sich dissonant vibrierende Klangflächen, die am Ende sehr langsam absinken, leiser werdend bis zum bloßen Atmen.

Jenseits ästhetischer Dogmen

Die kompositorischen Dogmen der Nachkriegszeit hat Ruzicka hinter sich gelassen. Auch die Postmoderne, das „Glasperlenspiel mit benutzten Chiffren und Zeichen“, wie er sagt. Er sucht Anknüpfungspunkte in der Musikgeschichte, die sich in diversen „Hommage“-Werken offenbaren: etwa im abschließend gespielten Kammerensemble-Stück „Je weiter ich komme …“ von 2012, einem „Geburtstagsständchen“ zum Sechzigsten von Komponistenkollege Wolfgang Rihm. Ein Rihm-Thema verbreitet hier so viel Energie, als wolle dieses Stück gar nicht mehr aufhören.