Drama um Krieg, Liebe und Gewalt: Szene aus „Idomeneo“. Foto: Knapp Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - Mozart und die Flüchtlingskrise Europas: Schon 2014 hat der von der Sängerin Cornelia Lanz initiierte Verein Zuflucht Kultur mit „Così fan tutte“ eine Mozart-Oper auf die Bühne gebracht, in der eine Gruppe syrischer Asylsuchender mitwirkte. Auch das Nachfolgeprojekt „Zaide“ hatte die Musik Mozarts zur Grundlage, doch mit dem von den Ludwigsburger Schlossfestspielen koproduzierten „Idomeneo“ kommen nun der Stoff des Dramas und das Schicksal der Flüchtlinge unmittelbar zusammen. Eine Szene der Aufführung bringt das dem Publikum eindringlich vor Augen: Während der Philharmonia Chor Stuttgart schon den Tod des aus dem Krieg um Troja heimkehrenden Idomeneo im Sturm vor Kreta beklagt, versinkt auf dem über die Bühne gespannten Segel im Video ein Schlauchboot mit Flüchtlingen im Meer. Doch der König wird gerettet - um den Preis, den ersten Menschen, dem er begegnet, den Göttern zu opfern. Bis es zur Aufdeckung dieses Fluchs kommt, sind bei Mozart schon zwei Akte vergangen. Bernd Schmitts Inszenierung des Stücks zielt auf die Grundsituation der Hauptfiguren: Ilja ist als trojanische Prinzessin nach Kreta verschleppt worden; Elettra, die ihre Mutter aus Rache für den Mord am Vater Agamemnon tötete, hat hier Zuflucht gefunden. Und beide lieben Idamante, den Sohn Idomeneos, der ihm als erster nach seiner Rückkehr begegnet.

Nachdem das Band-Art-Orchester unter seinem Konzertmeister Gordan Nikolic den Sturm und die ganze Dramatik der aufgewühlten Natur in der Ouvertüre artikulieren, während Menschen über die schräge Ebene in der Mitte der Bühne hechtend und robbend flüchten und später einer nach dem andern über Bord geht, hievt sich Josefin Feiler auf das wie ein Floß über den Boden ragende Holzpodest: eine sängerisch und darstellerisch glänzende Ilia, die ihr Los in weit gespannten Kantilenen beklagt. Als Idamante hinzukommt und Cornelia Lanz in dieser Hosenrolle den Reißverschluss ihres Sweatshirts öffnet, sinkt Feiler an ihren wogenden Busen - eine Gender-Anspielung, die bei den zuschauenden Asylanten nicht unbedingt Wohlgefallen erregt. Die zwei Dutzend Spieler haben inzwischen ihre Eisenbetten in Reih‘ und Glied aufgestellt - der szenische Bruch ist beabsichtigt: Idamante springt noch mehrfach aus seiner Rolle und sammelt mit dem Mikro Flüchtlingsgeschichten, die von Übersetzern ins Publikum weitergegeben werden.

Das Collage-Prinzip von Mozart-Arien und Flüchtlingsdokumenten trägt die Aufführung bis zur Pause - mit einem effektvollen ersten Finale, wo der Zank von Ilia und Elettra und der Aufruhr zwischen den Flüchtlingen in einer Feuersbrunst enden, welche die in einer Vitrine aufbewahrten Erinnerungsobjekte vernichtet. Ein böses Omen für den Schlussakt, den die Regie drastisch zuspitzt: Idamante stürzt in Kriegsausrüstung mit schwarzer Gesichtsmaske auf die Bühne, schießt wild um sich, die auf ihren Betten sitzenden Flüchtlinge rennen raus. Sie sind fortan nur noch Staffage, mal auf, mal hinter der Bühne - ein Bewegungschor ohne Funktion. Anders als in Schmitts Inszenierung von „Così fan tutte“, wo es bewegende Momente mit selbstverfassten Gedichten, Liedern und Biografien gab, bringt hier nur Idomeneos Begleiter Arbace, der syrische Schauspieler Zaher Alchihabi, mit seiner Oud (Laute) orientalische Farbe ins Spiel.

Nun bestimmt Mozarts Musik die Szene, Matthias Schmitt als Idomeneo und Tatjana Charalgina als Elettra überzeugen wie Feiler und Lanz sängerisch und fügen sich schauspielerisch in ein Konzept, das nun von Tarantinos „Pulp Fiction“ inspiriert zu sein scheint. Ein Auto rast mit Idamante in Video-Endlosschleife durch den Stuttgarter Schlossplatztunnel in den digital gefilmten Bombenkrieg, der iranische Bariton Mohsen Rashidkhan tritt an Stelle des Poseidon-Hohepriesters als blutbespritzter Arzt ohne Grenzen auf und rät zum Menschenopfer. Idomeneo will das vollbringen und hält Idamante die Pistole an den Kopf. Da schießt Elettra ihm in die Hüfte und bringt sich schließlich selber um, weil Idamante samt Ilia zum neuen Königspaar befördert werden.

Ein Jungreporter im weißen Smoking bringt die Geschichte flapsig zu Ende, ein Mädchen tanzt auf der Schräge Tutu-Ballett, und über das Segel von Birgit Angeles asketisch eindrucksvoller Bühne läuft ein Video-Text, der den Königstausch von Idomeneo zu Idamante zur egomanischen Politfarce erklärt, bevor sich der Kalaschnikowlauf eines Terroristen ins Bild schiebt. Ein harter Schluss, danach ein strahlendes Ensemble im Beifall des Publikums.