Von Angela Reinhardt

Stuttgart - „Die Menschen sprechen kaum noch miteinander“, sagt Katarzyna Kozielska: „Wir schicken uns nur noch Nachrichten übers Smartphone, die direkte Kommunikation geht verloren.“ Die Halbsolistin des Stuttgarter Balletts arbeitet an ihrem neuen Stück, das am kommenden Freitag im Opernhaus Premiere hat - mit ihrem „Dark Glow“ tönt sie den Abend dunkler.

„Verführung“ heißt das vierteilige Programm, das mit Marco Goeckes „Le Spectre de la Rose“ und Sidi Larbi Cherkaouis „Faun“ zwei Neubearbeitungen alter Klassiker und dazu noch Maurice Béjarts „Bolero“ versammelt, das Ballett mit dem eingebauten Urschrei am Schluss. In diesen drei Stücken geht es um die sinnliche Verführung, Kozielskas Uraufführung bricht aus diesem Schema und beschäftigt sich mit der Verführung durch die modernen Medien, durch Smartphones, Fernsehen, Religion oder Politik. Schon kleine Kinder, so beobachtet die polnische Choreografin, gehen verloren in dieser Medienwelt, wenn sie ständig nur fernsehen wollen.

Einfallsreiche Musik

Der Mensch verliert den Kontakt mit sich selbst, so Kozielska: „Man muss nicht mehr alleine denken, kann einfach sein Handy fragen.“ Genau an diesem Übergang zum Nicht-mehr-selbst-Denken setzt ihr Stück an, das zwar keine erzählbare Handlung hat, aber eine Art unterliegende Geschichte, die in Szenen angedeutet wird. Zum ersten Mal choreografiert sie für die große Bühne des Opernhauses, zum ersten Mal mit Orchester und zum ersten Mal zu einem Auftragswerk. Zu Musik des jungen Londoner Komponisten Gabriel Prokofiev ließ sie bereits zwei kleinere Stücke tanzen, jetzt hat sie ihn kontaktiert und ist glücklich über eine „tolle, kreative Zusammenarbeit“. Orchester und Elektronik - es ist alles dabei, was der einfallsreiche Prokofiev so drauf hat.

Stundenlang haben sie über Skype miteinander gesprochen, der Enkelsohn von Sergej Prokofjew legte ihr nicht etwa ein fertiges, sakrosanktes Musikstück vor, sondern ging auf die Ideen der Choreografin ein: „Er schickt vier oder fünf Vorschläge für ein Thema, für eine Musik zu einer bestimmten Situation, und ich kann dann aussuchen. Er hat nicht mal ein Problem, eine Minute zu streichen! Ich bin wirklich stolz, dass diese Musik für mich gemacht wurde“, strahlt Kozielska.

Ihr Chef Reid Anderson hat ihr nicht nur das Budget für diese Auftragsmusik ermöglicht (für die sie gerne auf ein großes Bühnenbild verzichtet), sondern nahm die Halbsolistin aus fast allen anderen laufenden Produktionen heraus, damit sie sich völlig aufs Choreografien konzentrieren kann. Kann man den kreativen Prozess denn überhaupt genießen oder ist es eher anstrengend? „Ich liebe jeden Moment!“, sagt sie leise und eher nachdenklich. Wichtig sei vor allem, dass sie sich von Stück zu Stück weiterentwickelt, mit jedem Pas de deux, mit jedem Solo für eine Gala: „Ich lerne so viel bei jedem Prozess.“

Wohl will sie irgendwann in der Zukunft einmal ein Handlungsballett inszenieren, aber sie nähert sich dem Thema lieber vorsichtig, zum Beispiel durch das Gespräch mit ihrer Dramaturgin - Natalia Fuhry lernte sie bei einer Uraufführung in Augsburg kennen, und Kozielska liebt diese neue Art der Arbeit: „Sie weitet die Perspektiven für mich, aber die Entscheidung liegt immer bei mir. Ich muss selbst schuld sein“, das heißt sie würde nie die Verantwortung auf jemand anderen schieben. Die Choreografin hört auf Vertraute und Kollegen, sie liest Kritiken und hält sich selbst für die kritischste Beobachterin ihrer Arbeit - in älteren Stücken zum Beispiel sieht sie heute manchmal Stellen, wo sie vielleicht Kompromisse schloss, und das will sie nun unbedingt vermeiden.

Als Frau muss man in diesem Job ohnehin sehr stark sein - nicht etwa, weil man unterdrückt werde, überhaupt nicht, sondern weil es für Frauen „nicht so einfach ist wie für Männer, das Innerste nach außen zu kehren“. Kunst sei kein Wettbewerb, sagt die Choreografin, die den Moment liebt, wo etwas Neues entsteht: „Ich brauche das Kreieren“. Zehn Tage vor der Premiere ist praktisch alles fertig, jetzt wird poliert. Allein der Schluss fehlt noch, dafür muss sie zuerst das gesamte Werk in allen Details sehen: „Ich will das richtige Ende für mein Stück.“

Die Premiere von „Verführung“ findet an diesem Freitag statt. Weitere Termine: 7., 8., 10., 11., 14., 23., 27. und 28. Februar sowie 4. und 7. März; Karten unter Tel. 0711-20 20 90, www.stuttgarter-ballett.de