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Von Dietrich Heißenbüttel

Esslingen/Stuttgart - „Die ganze Geschichte kam durch ein paar glückliche Fügungen zustande“, sagt Friedemann Gschwind: „Wenn ich ein Bildungsbürger wäre, würde ich Kairos sagen.“ Der Esslinger Architekt, 24 Jahre lang Bürgerausschussvorsitzender der Pliensauvorstadt, hat die längste Zeit seines Lebens im Stadtplanungsamt Stuttgart gearbeitet. Ende der 90er-Jahre brachte der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster die Idee einer Internationalen Bauausstellung (IBA) auf den Plan. Damit wurde auch der historische Vorläufer, die Weißenhofsiedlung, wieder zum Thema. „Ich bin zum OB gelaufen“, so Gschwind, „und habe gesagt: Dieses Projekt will ich machen.“

Zur selben Zeit zog aus dem Doppelhaus von Le Corbusier, das sich damals noch wie alle anderen in Bundesbesitz befand, ein Mieter aus. „Ein Geschenk des Himmels“ für Gschwind, der sogleich erste Skizzen für ein Museum zu Papier brachte. Der Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, das die Siedlung 1938 erworben hatte, um an ihrer Stelle das Generalkommando V der Wehrmacht zu errichten, vermietet die Häuser bis heute: primär an Bundes-, in zweiter Linie an Landesbedienstete. Damals war kein einziges der Häuser zugänglich. Dabei war die Siedlung ursprünglich im Rahmen der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ entstanden. Die Einrichtung war wichtiger als die äußere Form.

Rückkauf durch die Stadt

1979 hatten die Freunde der Weißenhofsiedlung zusammengefunden, die dies wieder stärker ins Bewusstsein rufen wollten, von der Stadt unterstützt mit dem lächerlichen Betrag von jährlich 300 Mark. An der anschließenden Renovierung, bei der spätere Zutaten wie die Satteldächer auf dem Haus von Peter Behrens zurückgebaut wurden, beteiligte sich die Stadt zwar zu 30 Prozent an den Kosten. Aber die gesamte Siedlung wieder zu erwerben, erschien Manfred Rommel zu teuer.

„Ausgangspunkt war: Wir wollen an mindestens einer Stelle originale Innenräume zeigen“, erzählt Gschwind. Als die eine Hälfte des Corbusier-Hauses frei wurde, mietete die Stadt die Wohnung zunächst an. Musste nur noch der andere Mieter, der Künstler K.R.H. Sonderborg, überredet werden, der für sich bereits die Original-Inneneinrichtung Le Corbusiers mit den Klappbetten rekonstruiert hatte. Schließlich erwarb die Stadt, als die Bauausstellung dann doch nicht kam, 2002, zum 75-jährigen Bestehen der Siedlung, beide Häuser für ein Fünftel des Betrags, den der Gemeinderat für die IBA bereitgestellt hatte.

Die Wüstenrot Stiftung übernahm die Renovierung: mustergültig, wenn auch einiges ganz anders war als sonst. So hätte die Stiftung von sich aus die ursprüngliche Farbgebung nur dort wieder hergestellt, wo noch originale Befunde vorhanden waren. Gschwind als Projektverantwortlicher der Stadt wollte aber im Museum den Originaleindruck der Innenräume erfahrbar machen. Schließlich gelang es mit Hilfe von Arthur Rüegg, des besten Kenners der Materie, das Doppelhaus mit hoher Plausibilität in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.

Just zu jener Zeit trat die Fondation Le Corbusier an die deutschen Behörden heran, um die Bauten des Meisters in sieben Ländern von Japan bis Argentinien auf die Welterbeliste zu setzen: eine höchst ungewöhnliche und anfangs umstrittene Idee. Aber die Stiftung mit Sitz in Paris wollte gerade betonen, dass Le Corbusier als einziger Architekt seiner Zeit weltweit tätig gewesen war und die Entwicklung geprägt hatte.

Denkmalpfleger hatten keine Zeit

Auf deutscher Seite wäre eigentlich das Landesdenkmalamt (LDA) zuständig gewesen. Allerdings die Denkmalpfleger hatten soeben erst viel Zeit auf den vergeblichen Versuch verschwendet, das Heidelberger Schloss auf die Liste zu setzen. Sie hatten keine Kapazität frei. Da beschloss Gschwind: „Dann lern ich jetzt Welterbe.“ Von da an fuhr er dreimal im Jahr nach Paris. „Ich war ein bisschen der bunte Vogel“, meint der Architekt. Denn Gschwind war nur ein einfacher städtischer Beamter, alle anderen Teilnehmer der Arbeitsgruppe dagegen höher gestellte Vertreter nationaler Behörden.

In Istanbul stand der Antrag nun bereits zum dritten Mal auf der Tagesordnung. Zwei frühere Anläufe waren gescheitert, Indien war aus- und wieder eingestiegen. Eine volle Woche hatte die Kommission bereits zu anderen Themen getagt, als die anfangs 29, am Ende nur noch 27 Anträge am Freitag, den 15. Juli, endlich an die Reihe kamen. Gegen Abend hatte sich die Diskussion an Frank Lloyd Wright festgebissen. Bis zuletzt hoffte Gschwind, auch Le Corbusier käme am Freitag noch zur Sprache. Stündlich musste er Wasserstandsmeldungen an Journalisten durchgeben, die die Nachricht in ihrer Samstagsausgabe haben wollten. Doch es kam anders.

Abends kehrte der Architekt nach Besuch eines Restaurants gegen 23.45 Uhr unbehelligt in sein Hotel am Taksim-Platz zurück, stellte noch einmal den Fernseher an, um zu wissen, was in Nizza passiert war: So erfuhr er von dem Putschversuch. In der Nacht hörte er Schüsse und Tiefflieger, auch vereinzelt Sprechchöre, ganz weit entfernt. Am nächsten Morgen gab die Unesco-Kommission bekannt, die Sitzung sei unterbrochen, die Teilnehmer sollten in ihren Hotels bleiben. Aber schon gegen Mittag ging er wieder hinaus, ohne allzu viel zu bemerken. Am Sonntag behandelte die Kommission die restlichen Anträge, Le Corbusier stand ganz oben auf der Liste und wurde gleich angenommen. Noch am selben Tag konnte Gschwind mit dem längst gebuchten Flug problemlos ausreisen.

Nur der letzte Rest der Tagung ist auf Ende Oktober verschoben. Wer sich für den Wortlaut der Entscheidung interessiert, muss bis dahin warten.