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Als Oberarzt in Teilzeit gehen? „Vor zehn Jahren wäre so ein Arzt komisch angeguckt worden“, sagt Elvira Benz, stellvertretende Geschäftsführerin der Medius-Kliniken. Heute gibt es Abteilungen, in denen alle Oberärzte in Teilzeit arbeiten. Flexible Zeitmodelle sind ein Instrument, mit dem sich die Kliniken des Landkreises als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Auf einem Markt, der um gutes Personal buhlt und der Nachwuchs rar ist, ist das Zertifikat „familienfreundlich“ viel Wert.

Von Roland Kurz

Mit 50 Maßnahmen wollen die Medius-Kliniken innerhalb von drei Jahren ihre Attraktivität als familienfreundlicher Betrieb steigern. Dazu haben sie sich im Zertifizierungsverfahren der „Beruf und Familie GmbH“ verpflichtet. Gleitzeit, Urlaubsplanung, Einspringen bei Engpässen, Job-Sharing, Fortbildung und Ferienbetreuung für Kinder sind einige Vorhaben. „Mit sicheren Arbeitsplätzen und tarifgerechter Entlohnung allein punktet man heute nicht mehr“, sagt Elvira Benz mit Blick auf die vielen Krankenhäuser, die im Großraum Stuttgart um gutes Personal buhlen. „Wir möchten die guten Mitarbeiter und ihre Erfahrung bei uns halten“, ergänzt Pressesprecherin Iris Weichsel. Hinzu kommt, dass die Zahl der Pflegeschüler sinkt.

Was Mitarbeiter als Anreiz werten, hängt von Alter, familiärer Situation und manchmal auch von Hobbys ab. Ein Pfleger, der Single und leidenschaftlicher Bergsteiger ist, stellt andere Erwartungen an das Unternehmen als Eltern mit kleinen Kindern oder Angehörige, die jemanden pflegen müssen. Zunehmend wollen Väter in Erziehungszeit, hat Michael Grubwinkler, Leiter der Personalabteilung festgestellt. Teilzeitmodelle seien auch in den ärztlichen Bereich eingezogen. In der Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Tumormedizin in Ruit gibt es nur noch Oberärzte in Teilzeit. Früher wäre Teilzeit ein Karrierekiller gewesen, sagt Benz.

Teilzeit und Dienstpläne unter einen Hut zu bringen, ist bei 2800 Mitarbeitern nicht einfach. Benz: „Wir müssen unsere Patienten an 365 Tagen 24 Stunden lang betreuen.“ Aber oft sind flexible Teilzeitkräfte die Retter bei Engpässen aufgrund von Krankheitsfällen. Die Flexibilität wird belohnt: Wer einspringt, bekommt einen Gutschein zum Tanken oder für eine Massage. Familienfreundlich ist das Einspringen aus Freizeit und Erholung raus aber nicht. Deshalb wollen die Kliniken woanders hin: Zu einem größeren Personal-Pool für Engpässe. Doch die Anforderungen in den verschiedenen Abteilungen sind höchst unterschiedlich, heute Urologie und morgen Kieferchirurgie?

Anders als bei den medizinischen Zertifikaten, die eine vorhandene Kompetenz bewerten, bedeute das Audit „Beruf und Familie“, dass sich ein Unternehmen auf den Weg macht. „Mit der Zielvereinbarung fängt die Arbeit erst richtig an“, sagt Personalchef Grubwinkler. Um die richtigen Ziele zu setzen, wurden die Mitarbeiter zu Workshops eingeladen. Etwa 250 beteiligten sich an den extern moderierten Arbeitsgruppen. Man habe nun Erwartungen geweckt, sagt Benz, werde diese aber nur schrittweise erfüllen können. Damit die Mitarbeiter bald etwas spüren, soll ein Wunsch, der in allen Gruppen vorne stand, schnell erfüllt werden: Ferienbetreuung für die Kinder. Wenn die Kita Pause macht, wird es für Eltern schwierig. 2018 wollen die Kliniken dafür ein Angebot schaffen. Benz denkt zudem an eine Regelung, mit der Kinder in Notfällen an den Arbeitsplatz mitgebracht werden können.

Bereits gestartet hat ein Fitnessprogramm für Beschäftigte. Die Intensität in der Pflege habe aufgrund der kürzeren Verweildauer und der Multimorbidität älterer Patienten zugenommen, erklärt Benz. Wer in der Klinik ist, braucht intensive Betreuung. Das Ruiter Vital-Center hat in einem Pilotprojekt zunächst die Bedingungen in der Zentralapotheke angeschaut und für die Mitarbeiter dort Übungen entwickelt. Dazu gibt es zehn Mal kostenfreies Training im Studio. Das Projekt wird nun auf andere Bereiche ausgedehnt, dabei nehme man auch Mitarbeiter mit, die sich oft „vergessen fühlen“, etwa in der Küche, in der Reinigung und im Labor.

Die Medius-Kliniken kümmern sich schließlich auch um den Ruhestand der Mitarbeiter. Finanziell, in dem ein Teil des Entgelts in eine Direktversicherung fließt oder in eine Unterstützungskasse. Die Kliniken erhalten dort gute Gruppen-Konditionen. Zum anderen soll es ein Mentorenprogramm geben, damit Spezialisten ihr Wissen im Ruhestand weitergeben können.

Wertschätzung steht für Mitarbeiter an erster Stelle der Zufriedenheitsskala, in allen Firmen. Deshalb streben die Kliniken ein einheitliches Führungsverständnis an. „Fachlich hat jeder seinen Part drauf“, sagt Benz, aber Führungsfähigkeiten müsse man entwickeln. „Da haben wir noch Arbeit vor uns“, meint Iris Weichsel.

(rok) - Teilzeitarbeit und Sabbatical sind zwei Wege, um den Bedürfnissen von Mitarbeitern entgegenzukommen. Die EZ hat Beschäftigte der Medius-Kliniken befragt.

Oberarzt Andreas Heil, Gastroenterologe in Ruit: Der leitende Oberarzt der Inneren hat auf 90 Prozent reduziert und arbeitet nur vier Tage in der Woche. Montags, wenn seine Frau an der Schule die meisten Stunden hält, kümmert er sich um die drei und sechs Jahre alten Kinder. „Die Kinder sind versorgt und ich bin an der Erziehung stärker beteiligt, nicht nur der Wochenend-Papa“, sagt Heil. Das Drei-Tage-Wochenende bringe mehr Erholung und er sei an den übrigen Tagen leistungsfähiger, findet der 40-Jährige. Sein Chef, Professor Bodo Klumpp, sei sehr entgegenkommend. In seiner Abteilung arbeiten alle Oberärzte in Teilzeit. Umgekehrt sei es selbstverständlich, dass er montags arbeite, wenn sein Chef mit seinen schulpflichtigen Kindern im Urlaub sei, erzählt Heil.

Psychiaterin Sabina Steinmann: Die Fachärztin arbeitet an der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bernhausen und hat sich ein halbes „Sabbatical“ genommen. „Wann, wenn nicht jetzt?“, hat sich die 56-Jährige gedacht, um mit ihrem elf Jahre älteren Mann durch Europa zu reisen. Ihr Chefarzt habe zugesagt, sofern eine Vertretung gefunden werde. Steinmann: „Mir wurden in keiner Weise Steine in den Weg gelegt.“ Die Verwaltung sei sogar sehr hilfreich gewesen, um ihr ein Finanzmodell vorzuschlagen. Sie hat vergangenes Jahr offiziell 45 Prozent gearbeitet und ein entsprechend reduziertes Gehalt bekommen. Die auf diese Weise gesammelten Überstunden ergänzte sie mit dem Jahresurlaub. So war die Ärztin auch während ihrer Reise weiter versichert. Den persönlichen Profit beschreibt sie so: „Ich bin mir und meiner Lebensphilosophie nochmals sicherer geworden. Das bringe ich in den Kontakt mit den Patienten ein: Ich ermutige sie, etwas Unkonventionelles zu tun.

Schwester Indira Jeyaseelan: Die OP-Schwester am Kirchheimer Krankenhaus ist mit der heutigen Arbeitssituation zufrieden, obwohl sie derzeit mehr als 100 Prozent arbeitet, weil sei eine Elternvertretung übernommen hat. Als ihre Kinder klein waren, sei es deutlich schwieriger gewesen. Zwar konnte sie schon Teilzeit arbeiten, aber sie musste von ihrem bescheidenen Gehalt das Geld für eine Tagesmutter abzwacken. Heute hat das Kirchheimer Haus eine Kooperation mit einer Tagesstätte. Schwester Indira wünscht sich, dass die Klinik das Einspringen in Notfällen besser honoriert. Der Gutschein sei eine gute Idee, aber das reiche nicht.

Gynäkologin Melanie Vinke: Die Fachärztin aus Nürtingen hat zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. Vor drei Jahren reduzierte sie auf 70 Prozent. Die Belastung, sich um die Kinder zu kümmern und auf die Facharztprüfung zu lernen, sei nicht zu bewältigen gewesen, erklärt sie. Zudem sei ihr Mann beruflich stark eingespannt. Im Assistenzbereich sei Teilzeitarbeit in der Klinik durchaus üblich, sagt die 38-Jährige. Sie wünscht sich allerdings, dass die Option auf Teilzeit auf Ebene der Oberärzte selbstverständlich werde. Vinke: „Wenn unsere Oberärzte in absehbarer Zeit in Ruhestand gehen, stehen viele Frauen in den Startlöchern, die aber nicht gewillt sind, wie vor 30 Jahren mit 100 Prozent zu arbeiten.“ Jobsharing dürfe nicht zur Folge haben, das man beruflich ausgebremst werde. Das Modell ermögliche allen mehr Flexibilität, weil Dienste einfach zu tauschen seien.