Reinigungsberufe zählen zu den häufigsten Minijobs und gleichzeitig zu den Hauptberufen, die oft eine weitere Tätigkeit notwendig machen. Foto: Holzwarth Quelle: Unbekannt

Im Kreis Esslingen haben immer mehr Menschen mehrere Arbeitsstellen. Viele putzen nach Feierabend oder sind in anderen Dienstleistungsbranchen tätig.

Von Henrik Sauer und Philip Sandrock

Seit acht Jahren geht Mahmut Kaymak sechs Tage in der Woche putzen. Abends - wenn die meisten anderen ihren Feierabend genießen - reinigen er und seine Frau Büros, putzen Schreibtische und bringen den Müll raus. „Wir fangen in der Regel um 18 Uhr an“, sagt er. Die Reinigungseinsätze dauern im Durchschnitt eine bis zwei Stunden - von Montag bis Samstag.

Davor steckt dem 49-Jährigen meist ein harter Arbeitstag in den Knochen: Er ist bei einem großen Bauunternehmen als Kraftfahrer und im Straßenbau tätig. Meistens beginnt er schon frühmorgens. „Ich brauche den Nebenjob, um unser Haus abzuzahlen“, sagt Kaymak. Vor einigen Jahren hat die Familie ein Reihenhäuschen gekauft. Eine Bedingung für die Finanzierung sei ein höheres Familieneinkommen gewesen. „Wir haben drei Kinder“, sagt Kaymak. Die Bank habe damals genau vorgerechnet, mit wie viel Lebenshaltungskosten eine fünfköpfige Familie rechnen muss, und wie viel dann noch für die monatliche Rate erforderlich sei.

Doch schon vor dem Immobilienkauf verdienten sich die beiden als Reinigungskräfte etwas dazu - um den Lebensstandard aufzubessern. Für die Kaymaks gehört der Minijob inzwischen schon zum Familienalltag: „Wir essen gemeinsam zu Abend und gehen dann arbeiten“, sagt er. Es sei für das Paar inzwischen wie für andere der Besuch im Fitnessstudio. „Wir machen immer Witze darüber, dass das unser Sport ist“, sagt Kaymak. Denn beim Putzen und Saugen komme man schon ins Schwitzen. „Wenn wir Urlaub haben, dann fehlt uns das schon irgendwie.“

Im Landkreis Esslingen hatten Ende März 26 284 Personen mindestens zwei Beschäftigungen. Das sind 12,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Bei 22 620 Bürgern war die zusätzliche Beschäftigung ein Minijob, bei den anderen eine weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Die Zahl der mehrfachbeschäftigten Personen mit zusätzlichem Minijob stieg in den vergangenen vier Jahren stetig an. Seit 2012 um rund 2 000 Personen. Die Zahlen stammen von der Agentur für Arbeit. Sie decken sich nahezu mit denen der Hans-Böckler-Stiftung, auf die sich Dominik Gaugler, beim DGB Gewerkschaftssekretär für die Landkreise Esslingen und Göppingen, bezieht. Er geht davon aus, dass die meisten dieser Minijobs überlebenswichtig sind. Frauen und Männer halten sich in puncto zusätzlicher Minijob nach den Zahlen der Böckler-Stiftung etwa die Waage.

Als Gründe, dass die Mehrfachbeschäftigungsquote im Kreis Esslingen vergleichsweise hoch ist (im Bund lag sie Mitte 2014 bei 8,3 Prozent), nennt Gaugler die Lebenshaltungskosten in der Region Stuttgart, die in den vergangenen Jahren verhältnismäßig stärker gestiegen seien als anderswo, und die Tatsache, dass immer weniger Betriebe tarifgebunden seien: „Die Tariftreue wird immer weniger. Mit der Folge, dass immer mehr Leute im Erstjob keine auskömmliche Bezahlung mehr haben.“ Vor allem Dienstleistungsbranchen klinkten sich zunehmend aus der Tarifbindung aus. In Betrieben mit Tarif seien die Löhne um sechs bis sieben Prozent höher.

Mehrfachbeschäftigung ist laut der Arbeitsagentur vorrangig in Dienstleistungsberufen wie in der Gebäudebetreuung, im Garten- und Landschaftsbau oder bei Post-, Kurier- und Expressdiensten verbreitet. Die Reinigungsberufe stehen ganz vorne. Bundesweit müssen fast 17 Prozent der Personen, die hauptberuflich reinigen, zusätzlich noch eine weitere Tätigkeit ausüben.

Problematisch seien die Minijobs auch in Bezug auf die Rente, so Gaugler: „Diese Leute können nicht privat vorsorgen, das ist Illusion.“ Die Tendenz, eine Vollzeitstelle mit mehreren Minijobbern zu besetzen, sei eine bedenkliche Entwicklung. Beim DGB verdamme man die Minijobs nicht, aber es sei viel Aufklärungsarbeit notwendig, um zu zeigen, „dass dies keine langfristige Lösung ist“, sagt Dominik Gaugler. Ziel müsse sein, mehr Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen. Der Mindestlohn sei ein Schritt in diese Richtung gewesen.

Minijob und Mindestlohn

Eine geringfügige Beschäftigung ist ein Beschäftigungsverhältnis, bei dem die Entlohnung 450 Euro im Monat nicht überschreitet. Dann spricht man auch von einem Minijob. Minijobber sind von der Sozialversicherung sowie von der Einkommensteuer freigestellt, nicht aber von der Rentenversicherung. Von der Rentenversicherungspflicht kann man sich aber ebenfalls befreien lassen, was viele tun, weil die Rentenanwartschaft gering ist. Die Arbeitgeber hingegen müssen für ihre geringfügig Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern abführen. Für Minijobber gelten die gleichen Regelungen wie für „normale“ Arbeitsverhältnisse, das heißt, auch der Mindestlohn wird hier angewandt. Als Kritik wird oft genannt, dass geringfügige Beschäftigung die „normalen“ Arbeitsverhältnisse zurückdränge und wegen der geringen Ansprüche auf Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung eine gravierende Altersarmut entstehe.