Quelle: Unbekannt

Von Doris Brändle

Den Lichtschalter im Beichtstuhl muss Pfarrer Bernhard Ascher erst suchen. Und hinter dem Türchen, wo eigentlich der Priester sitzt, stapeln sich in der Kirche St. Konrad in Plochingen Stühle vom letzten Konzert. Reuige Sünder, die knieend hinter dem Holzgitterchen flüsternd ihre Vergehen gestehen wollen, gibt es kaum noch. Heute begegnen Gläubige ihrem Beichtvater im Pfarrbüro von Angesicht zu Angesicht. Aber auch das nur selten.

Advent und Fastenzeit - das sind die typischen Zeiten, in denen der Katholik zum Beichten geht. Eigentlich. Anfangs hat Pfarrer Ascher in Plochingen da auch noch feste Termine angeboten. „Aber dann saß ich allein“, sagt der 58-Jährige. Beichtgespräche gibt’s in Plochingen deshalb nur noch auf Anfrage, es sind zwischen drei und sechs im Jahr.

„Wir sitzen uns Aug’ in Aug’ gegenüber“, sagt der Pfarrer. Das ist ihm viel lieber als der Beichtstuhl. Schließlich könne man hinter dem Gitterchen auch kein längeres Gespräch führen, zumal wenn der eine kniet. „Es geht dabei oft um intime Dinge, um Beziehungen.“ Oft sind es weniger Sünden als Sorgen und Nöte, über die die Menschen sprechen wollen. „Manchmal geht es einfach darum, mit jemand zu reden, der zuhört.“ Das hat oft etwas Therapeutisches.

Die Beichte solle eine Erneuerung der Taufe sein, erklärt der Pfarrer. „Eine Reflexion über das eigene Leben. Eine Chance, sich zu fragen, wie stehe ich zu mir selbst, zu den anderen und wie stehe ich vor Gott.“ Irgendwann habe man daraus so eine Moralgeschichte gemacht. „Aber darum geht es nicht.“

Mit seinen Kommunionkindern beichtet Ascher regelmäßig. Er erinnert sich, dass sich vor 20, 25 Jahren noch viele Eltern dagegen gewehrt haben. Manche hätten selbst als Kinder Druck bei der Beichte erlebt, man habe ihnen Schuldgefühle eingeredet. „Es gibt in der Geschichte der Beichte durchaus dunkle Kapitel. Gerade Frauen berichten, dass früher manche Pfarrer gern Fragen zum Thema Keuschheit gestellt haben.“

Bis in die 60er-Jahre wurde das Beichtgebot sehr streng gesehen - und wer nicht kam, dem drohte das Höllenfeuer.

Dass heute kaum mehr einer zur Beichte kommt, hat nach Aschers Ansicht mit der 68er-Bewegung zu tun. „Da wurde auch die kirchliche Praxis auf Stimmigkeit hinterfragt und der Druck reflektiert“, sagt er. Ascher beobachtet auch, dass die Menschen heute das Wort „Schuld“ weit von sich weisen. „Schuld sind immer nur die anderen, die andere Partei oder jetzt die Flüchtlinge. Das sagt schon etwas über unsere Gesellschaft aus.“

Er selbst hat die Beichte nie als belastend empfunden. Er ist in Biberach aufgewachsen und musste als Kind noch alle vier Wochen in den Beichtstuhl. Er erinnert sich aber, dass er manchmal schwer überlegen musste, was er dem Priester jetzt schon wieder erzählen könnte. „Da gibt’s den alten Witz: Ich hab erst mal fünf Mark geklaut, damit ich was zu beichten hab’.“

Die Kinder heute beichteten oft, dass sie gepetzt, genascht oder sich mit dem Bruder gestritten hätten. „Es gibt da auch sehr berührende Momente. Die Kinder nutzen die Beichte, um sich ihre Sorgen von der Seele zu reden. Ein Kind hat mir erzählt, wie traurig es ist, dass die Oma gestorben ist.“ Ascher mag diese Gespräche und hat Spaß daran. Und er glaubt, dass die Beichte auch für die Kinder einen besonderen Reiz hat. „Sie hat etwas Mystisches und es gefällt ihnen, dass ich ihre Geheimnisse nicht weitererzählen darf.“ Immer wieder hört er von seinen Mitarbeitern, dass die Kinder strahlend aus der Beichte kommen.

Ascher beichtet einem Mönch

Einen Mord hat bei Ascher noch nie jemand gestanden. „Aber selbst dann wäre ich an das Beichtgeheimnis gebunden. Ich könnte ihm nur raten, sich zu stellen.“ Auch wenn die Menschen keine Kapitalverbrechen vorbringen, belasten ihn manche Geschichten. „Es ist auch schon vorgekommen, dass ich gedacht habe, ich komm’ nicht ran an einen Menschen.“ Unter Kollegen redet er auch mal darüber - ohne Namen zu nennen.

Am Ende der Beichte sagt Ascher: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“ Er gibt heute niemandem mehr auf, zur Buße drei Vaterunser und fünf Ave Maria zu beten. „Stattdessen sage ich einem Kind zum Beispiel, es soll dem Bruder, den es geärgert hat, eine Freude machen.“ Die Buße soll nichts Schlimmes und auch keine Strafe sein, sagt der Pfarrer. „Das Wort Buße kommt von bessern“, erklärt er. „Mit Erwachsenen entwickle ich deshalb Strategien, etwas besser zu machen.“ Von seinen Kollegen weiß Ascher, dass in Esslingen noch mehr Menschen zur Beichte gehen. „Ich denke, da kommen viele aus dem Umland. Ich habe manchmal den Eindruck, man will sich nicht dem eigenen Pfarrer offenbaren.“ Früher habe man deshalb für die Beichte öfter einen fremden Pfarrer geholt. „An Wallfahrtsorten wird auch deshalb noch immer sehr viel gebeichtet, weil dort eine gewisse Anonymität herrscht.“

Beichtgespräche bedeuten auch Nähe zwischen Pfarrer und Gemeindemitglied. Und davon ist in der riesigen Seelsorgeeinheit Neckar-Fils, zu der Plochingen, Hochdorf, Lichtenwald, Altbach, Deizisau und Reichenbach gehören, viel verloren gegangen. Pfarrer Ascher bedauert das sehr.

Zweimal im Jahr fährt er ins Kloster Münsterschwarzach und beichtet bei einem Mönch, er ist sein fester Beichtvater. „Das ist eine Chance, mit jemand über meine eigene Situation zu reden und was für mich zu tun“, sagt Ascher. „Das hat etwas Befreiendes.“ Als Pfarrer sei man ja sonst immer der Gebende.

Die Beichte

In Plochingen leben etwa 3300 Katholiken, das sind um die 22 Prozent der Bevölkerung. In die beiden Sonntagsgottesdienste kommen insgesamt 150 bis 200 Besucher, zur Beichte etwa 6 im Jahr.

Das Sakrament der Beichte (von Althochdeutsch „bijiht“ - Aussage) hat in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Die sogenannte Ohrenbeichte, also das Gespräch unter vier Augen mit einem Beichtvater, kam im sechsten Jahrhundert mit den iroschottischen Mönchen nach Europa. Seit dem Vierten Laterankonzil 1215 gebietet die Katholische Kirche ihren Gläubigen, wenigstens einmal im Jahr all ihre Sünden einem Priester zu beichten.

Zahlen zur Beichte: Wer Daten braucht, landet bei der Deutschen Bischofskonferenz, die sagt, das sei schwierig. Es gibt nichts: keine Statistiken, keine Untersuchungen, kein Datenmaterial.

In der evangelischen Kirche hat die Beichte keinen hohen Stellenwert. Doch Martin Luther hat sie nicht abgeschafft. Er lehnte im Blick auf die Beichte aber jeden Zwang ab. Für ihn ist nicht das Bekenntnis der Sünden, sondern die Absolution „das Hauptstück und das Vornehmste an der Beichte“. In der Folgezeit verlor sich das Interesse an der Einzelbeichte. Im 17. Jahrhundert schafften die Protestanten sie fast vollends ab. An ihre Stelle trat die allgemeine Beichte. Erst im 19. Jahrhundert gab es Ansätze zu einer Neuentdeckung der Privatbeichte. Auch Dietrich Bonhoeffer brach eine Lanze für die Beichte. Er sah in ihr einen Durchbruch zur Gemeinschaft.