Der Verein Kalknetzwerk vermittelt Handwerkern den richtigen Umgang mit dem Werkstoff Kalk. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Barbara Gosson

Überall auf der Welt, wo Kalk vorkommt, findet das Material seit Menschengedenken als Baustoff Verwendung. Er hält Steine zusammen, verkleidet Wände und veredelt Oberflächen aller Art. Doch die Verarbeitung von Kalk braucht Zeit - und Wissen, das im Laufe der Zeit immer mehr in Vergessenheit geraten ist. Ein Nürtinger Verein kämpft dagegen an.

Ein erster Meilenstein im Kampf gegen das Vergessen der uralten Kulturtechnik ist die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen Unesco-Kommission. Zu verdanken ist das dem kleinen, aber internationalen Verein Kalknetzwerk mit Sitz in Nürtingen. Die Vorsitzende des Vereines, Karola König, lebt in Raidwangen. Von hier aus organisiert sie ihr Netzwerk aus Architekten, Händlern und Handwerkern rund um das Thema Kalk. Antragsstellerin Karola König erläutert, warum aus einem konkreten Material wie dem Kalk ein immaterielles Kulturerbe wird: Es gehe nicht um den Mörtel, sondern vielmehr um die Fähigkeit, für jede Bauaufgabe irgendwo auf der Welt zu irgendeiner Zeit gezielt die optimale Mischung herzustellen und adäquat anzuwenden. Um Handwerk also.

König selbst ist keine Handwerkerin. Die zierliche, elegante Frau kam über Umwege zum Thema Kalk: Im Zuge ihres Studiums der Kunstgeschichte befasste sie sich mit Naturfarben. Später lebte sie neun Jahre lang in Florenz und vertrieb Naturfarben für die industrielle Textilfärberei. Heute betreibt König eine Agentur für ökologische Produkte. Über ihren früheren Ehemann, einen Baubiologen, kam sie mit dem Thema Naturbaustoffe in Kontakt. Dabei fiel ihr auf, dass Handwerker und Händler, die sich mit Kalk befassen, immer wieder auf großes Unverständnis stoßen. Zu wenig Bekanntheitsgrad haben der Werkstoff und seine vielseitigen Möglichkeiten bei den Kunden, zu wenig Kenntnisse über seine Verarbeitung haben die Handwerker. Nicht einmal mehr Restauratoren und Fachleute für Denkmalschutz, berichtet König, lernen das Arbeiten mit Kalk noch richtig.

Während Lehm als Baustoff seit den 60er-Jahren eine Renaissance feiert, wartet der Kalk noch auf seine Wiederentdeckung. König beschreibt, was ihn so besonders macht: zum einen ist er stark alkalisch. Wo mit Kalk verputzt oder gestrichen wurde, hat Schimmel praktisch keine Chance. Das macht den Kalk zu einem interessanten Werkstoff für gedämmte Häuser und ihre Bewohner, die oft unter Schimmelbefall zu leiden haben. Kalk als Putz ist diffusionsoffen, dass heißt, er leitet Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk nach außen, anders als Zementputz. „Kalk ist sehr wichtig für eine gesunde Wohnumgebung“, sagt König.

Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Es gibt unheimlich viele Techniken, Kalk zu verarbeiten. Beim marokkanischen Tadelakt zum Beispiel werden wasserabweisende Oberflächen erzeugt, die in Bädern Verwendung finden. Ähnlich ist die italienische Technik des Stucco lustro, die aussieht wie Marmor. Auch eine japanische Putztechnik gibt es. „Der natürliche handwerklich hergestellte Kalkmörtel war zu jeder Zeit, in jeder Kultur und an jedem Ort das angemessene Mittel, die regionale Baukultur zu ermöglichen“, fasst König zusammen. Sie vermutet, dass die meisten Bauwerke, die vor 1900 entstanden sind, mit Kalkmörtel gebaut wurden. Der Nachteil an Kalk: Er ist nicht einfach zu verarbeiten und hat lange Trocknungszeiten. Darum wurde er vom Zement verdrängt, als es nach dem Krieg darum ging, viel, schnell und billig zu bauen.

Der Verein, der den Kalk aus seinem Dornröschenschlaf holen will, wurde 2015 gegründet und hat Mitglieder in aller Welt. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, die Techniken der Kalkverarbeitung wieder ins Bewusstsein zu bringen. Dazu gehen die Mitglieder auf Publikumsmessen und Umwelttage, veranstalten Fortbildungen und vermitteln Praktika. In einem besonderen Projekt werden gemeinsam mit Flüchtlingen die Bautechniken ihrer Heimatländer erarbeitet. So können sie sich am Wiederaufbau beteiligen. Die Eintragung als immaterielles Kulturerbe gibt natürlich Rückenwind. Inzwischen laufen Gespräche über Forschungsprojekte mit Universitäten

Einen Platz für seine Aktivitäten hat der Verein im brandenburgischen Rüdersdorf gefunden. Dort befindet sich in einer ehemaligen Kalkgrube mit 18 Kalkbrennöfen ein Museumspark. Künftig sollen an dieser Stelle Kalkverarbeitungstechniken vermittelt werden. Außerdem wird die Werkstatt eines Mitglieds im italienischen Ravenna zu einem Kurszentrum ausgebaut und eine Leipziger Architektin vermittelt Sanierungsobjekte, an denen Handwerker die Techniken ausprobieren können.

Mitglied kann aber jeder werden, der sich für ökologisches Bauen oder alte Handwerkstechniken interessiert. „Wir sind erst am Anfang“, sagt Karola König. Der nächste Schritt wäre die Eintragung in die Unesco-Welterbe-Liste. Doch bereits jetzt sind alle Techniken der Kalkverarbeitung weltweit in dem Eintrag eingeschlossen. Nun gilt es nur noch, die Welterbekommission zu überzeugen.

www.kalknetzwerk.org