„Die Menschen fühlen sich wohler, wenn sie eine schöne Umgebung haben“, davon ist die Stadtplanerin Seog-Jeong Lee überzeugt. Das Foto zeigt sie in Kemnat. Für den Filderort hat sie Gestaltungsrichtlinien erarbeitet. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Harald Flößer

Schon als Kind hat sie ihr Zimmer selbst tapeziert. Und sie träumte davon, eigene Möbel zu gestalten. Aus dem Designen wurde nichts, aber einen Beruf, der von Kreativität lebt, hat sie doch gewählt. Stadtplanerin ist Seog-Jeong Lee geworden. Keine gewöhnliche. Denn die Südkoeranerin pendelt zwischen den Welten. Sechs Monate Professorin an der Seoul National University, dann wieder im Internationalen Stadtbauatelier ISA in Stuttgart und dazwischen in China oder sonst wo auf dem Erdball als Dozentin, Architektin oder Stadtplanerin. Das ist das Leben, das die 61-Jährige so liebt.

Die in den 1990er-Jahren umgestaltete Bahnhofstraße in Esslingen trägt ihre Handschrift. Eines ihrer aktuellen Projekte hat sie nach Kemnat geführt. In ihren „Gestaltungsempfehlungen“ für die Ortsmitte zeigt sie der Stadt Ostfildern auf, wie sich der kleine Filderort qualitätvoll weiterentwickeln kann, ohne „schreiende Architektur“, wie Seog-Jeong Lee zurückhaltend-vornehm Bausünden nennt. Denn Worte wie Wildwuchs würde sie nicht verwenden. Eher beschreibt sie Fehlentwicklungen als „zu laut“. Worum es ihr geht? „Die Proportionen es Gebäudes müssen stimmen“, nennt sie einen zentralen Grundsatz. Vor allem da müsse man mit bei künftigen Entwicklungen steuernd eingreifen, um ein harmonisches Gesamtbild zu erhalten. Mit ihren Richtlinien will die Stadtplanerin beispielsweise Vorgaben machen für das Verhältnis von Hauptgebäude und Anbau - sie fordert eine klare Gliederung - oder für die Gestaltung von Dächern und Fassaden. Auch für die Wahl der Farben und Baumaterialien gibt sie einen Rahmen vor. Sie weiß natürlich, dass es sich dabei nur um Empfehlungen handelt. Darauf hat auch die Stadtverwaltung jüngst im technischen Ausschuss des Gemeinderats verwiesen: Diese Gestaltungsrichtlinien sind unverbindlich und ersetzen kein Planungsrecht. Aber sie können eine wichtige Grundlage für die Entwicklung örtlicher Bauvorschriften darstellen. Und genau einen solchen Rahmen möchte die Stadt für das geplante Sanierungsgebiet „Kemnat I“ erarbeiten.

Schönheit als Kraftquelle

Sie wolle die Bauherren nicht in ihren Freiheiten einschränken, sagt die Stadtplanerin. Gestaltungsrichtlinien sieht sie als soziale Aufgabe. Jeder müsse sich ein bisschen zurücknehmen und sich klar machen: Ich lebe nicht alleine hier. Denn klar sei: „Die Menschen fühlen sich wohler, wenn sie eine schöne Umgebung haben.“ Architektonische Schönheit sei eine Kraftquelle für den Alltag.

Malerin oder Architektin wolle sie einmal werden, sagte Seog-Jeong Lee ihrer Lehrerin in der Mittelschule. Sie ist das älteste von sieben Kindern. Ihr Vater, der eine kleine Baufirma betrieb, ermöglichte ihr ein Architekturstudium. Als moderne Architektur habe man in den 70er-Jahren in Seoul den Bauhausstil gelehrt, erzählt die 61-Jährige. Deutsch hatte sie als zweite Fremdsprache schon in der Schule gelernt. Deshalb abonnierte sie auch die deutsche Zeitschrift „Wohnen“. Doch zufrieden war sie mit dem Studium nicht. „Mein Interesse galt vor allem dem Städtebau und der Stadtgestaltung.“ Also entschied sie sich mit 24, nach Deutschland zu gehen. „Ich wollte zum Geburtsort des Bauhaus“, erinnert sie sich. Eine mutige Entscheidung, die sie auch deshalb traf, weil es damals sehr schwierig war, in Korea eine richtige Stelle zu finden, zumal als Frau. Aber sie machte in Deutschland ihren Weg: Aufbaustudium an der Uni Stuttgart, Promotion und daneben praktische Arbeit im Planungsbüro Stadtbauatelier.

Sie liebt Marmeladenbrot

Gerade nach der Wiedervereinigung gab es für sie und ihr Büro viele spannende Aufgaben. Unter anderem war sie mit der Stadtentwicklung in Potsdam und Stralsund beschäftigt. Heute arbeitet sie viel in China, wo ihr Büro in Bejing mittlerweile eine eigene Filiale hat. Trotz aller Probleme liebe sie dieses Land, sagt die 61-Jährige. Sie sei fasziniert von diesem Volk und seiner Kultur.

Nicht mehr missen möchte sie Deutschland als ihren zweiten Lebensmittelpunkt. „Wegen der hohen Lebensqualität, aber auch weil ich mich hier viel freier fühle“, sagt sie. Die Landschaft, die Natur, die Städte, die soziale Sicherheit, die trotz vieler Probleme relativ ausgeglichene Gesellschaft - ihr fallen viele Vorzüge ihrer neuen Heimat ein. Das alles könne man viel mehr schätzen, wenn man wie sie auch andere Welten kennengelernt habe. „Ich bin dankbar dafür“, sagt sie. An Deutschland mag sie vor allem auch das Essen. Wenn sie von einer Asienreise zurückkommt in ihre Wohnung in Asemwald, ist ein Brot mit Butter und Marmelade ein Hochgenuss.

Kurzbiografie

Seog-Jeong Lee wurde 1955 in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul geboren. von 1975 bis 1981 absolviert sie an der Universität Hanyang ein Architekturstudium. Danach entschließt sie sich, nach Deutschland zu gehen. An der Universität Stuttgart macht sie ein Aufbaustudium im Fachgebiet Stadtgestaltung.

1995 promoviert sie zum Thema „Das Stadtbild als Aufgabe - Wege zu einer ganzheitlichen Stadtbildplanung“. Im Jahr 1984 wird Seog-Jeong Lee neben ihrer Lehrtätigkeit an der Uni Stuttgart Mitglied des Planungsbüros Stadtbauatelier ISA und arbeitet dort als Projektleiterin.

2002 bekommt sie an der Hanyang Universität in Seoul eine Professur an der Fakultät für Stadtplanung. Seit 2012 ist sie Professorin für Städtebau und Stadtgestaltung an der Seoul National University. Daneben ist sie seit 2007 eine von vier Partnern im Planungsbüro ISA Internationales Stadtbauatelier.