Kletterer Ronald Nordmann Quelle: Unbekannt

Von Iris Häfner

Mit großen Kulleraugen schaut der - oder die - Kleine aus dem Rucksack von Ronald Nordmann. Zum ersten Mal in seinem vier oder fünf Wochen alten Uhu-Leben ist ihm ein seltsamer Zweibeiner erschienen - und der hat ihn auch noch aus seinem bis dato sicheren Zuhause entführt. Ganz geheuer war dem flauschigen Eulennachwuchs die Begegnung nicht: Er ist schnell aus seinem Nest geflüchtet und hat sich ins hinterste Eck der etwa 2,5 Meter tiefen Felsnische verkrochen. Dem erfahrenen Kletterer aus Unterlenningen konnte er dennoch nicht entkommen.

Ronald Nordmann ist mit guten Absichten gekommen. Der junge Uhu soll beringt werden. „Das ist immer wieder ein Erlebnis“, sagt Johannes Enssle, Vorsitzender beim Nabu Baden-Württemberg. Durch die Beringung wollen die Naturschützer mehr über die größte Eulenart erfahren, beispielsweise wo die Vögel hinfliegen und wo sie sich niederlassen. Zudem wissen sie, was mit einzelnen Vögeln passiert und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind, etwa wenn sie an Stromleitungen zu Schaden kommen oder vom ICE überfahren werden. Hin und wieder verirren sich Uhus in Kaminschlote. „Hat ein Vogel einen Ring, denken viele Menschen: Der gehört jemandem. Kommt solch ein Tier bei einem Unfall um, erfahren wir eher davon“, nennt Jürgen Becht von der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz im Nabu einen der Gründe für die nicht ganz stressfreie Aktion.

Dem Jung-Uhu wird an diesem Nachmittag ein großer Bahnhof vor Fotografen und Kameraleuten bereitet. „Das ist keine Showveranstaltung“, betont Enssle und hebt die gute Zusammenarbeit des Nabu mit dem Deutschen Alpenverein (DAV) hervor. „Das ist eine echte Symbiose am Fels und zur Normalität geworden. Beringer und Kletterer arbeiten Hand in Hand und sind ein eingespieltes Team“, erklärt Enssle. DAV und Nabu haben sich bereits 2005 auf gemeinsame Leitlinien für den Natur- und Vogelschutz an Kletterfelsen geeinigt.

„Dazu gehören auch Einschränkungen. Die nehmen wir in Kauf, weil Felsbiotope empfindliche Lebensräume sind“, sagt Michelle Müssig, stellvertretende Vorsitzende des DAV-Landesverbands. Das bedeutet, dass manche Route zwei bis drei Meter unter dem Felskopf endet. Auch auf die Tiere nehmen die Kletterer Rücksicht. „Ohne die Kooperation der Verbände gäbe es viele Brutstätten nicht mehr“, ist Jürgen Becht überzeugt. Die Sportler freut es, dass in ihrem beliebten Klettergebiet die Uhus leben und brüten. Der Teil des Tobelfelsens, wo sich das Nest befindet, ist ganzjährig gesperrt.

Ronald Nordmann ist Mitglied und Sprecher des Arbeitskreises Klettern und Naturschutz Lenninger Alb. Seit Jahren ist er im Fels für den Naturschutz unterwegs und holt die kleinen Eulen aus ihrem Horst und bringt sie nach der Beringung wieder zurück. „Er packt sie richtig an und vor allem: Er hat keine Angst“, lobt Becht. Schon der Nachwuchs hat Kraft in den großen Krallen.

„Uhus sind keine Veganer“, stellt Becht klar. Auf ihrem Speiseplan stehen Mäuse, Bisamratten, junge Füchse, Wiesel, Reptilien und Vögel aller Art, auch Kolkraben und Wanderfalken. „Im Horst ist nahezu alles zu finden und dementsprechend riecht es dort auch“, erklärt der Uhu-Fachmann. Angst und Schrecken verbreitet die große Eule in ihrem Revier bei ihren Beutetieren. „In der Nacht pflückt der Uhu die Krähen regelrecht von ihren Schlafbäumen“, beschreibt Becht das Jagdverhalten. Aufatmen können alle Katzenbesitzer. „Der Uhu ist kein Hasardeur. Katzen gehören nicht zur bevorzugten Beute“, sagt er. Im Kreis Esslingen sind ihm zehn Uhu-Paare bekannt, auf 15 bis 20 Paare schätzt er den Bestand im Kreis Göppingen. Bis zu vier Junge kann ein Gelege haben.

Im vergangenen Jahr hatte Nordmann drei kleine Eulen im Rücksack, heuer nur eine. Uhus sind fürsorgliche Eltern. Bis in den Oktober hinein betreuen und versorgen sie ihren Nachwuchs. Der Uhu ist keine gefährdete Art. Auf der Schwäbischen Alb ist er seit etwa 20 Jahren wieder heimisch.

Das Anlegen des Rings ist für das Tier schmerzfrei. Ronald Nordmann legt den flauschigen Uhu vorsichtig auf den Rücken, der daraufhin regungslos in dieser Position verharrt und die langen, kräftigen Beine ausstreckt. Jetzt kann Jürgen Becht zur Tat schreiten. Der Aluring kommt von der Vogelwarte in Radolfzell und ist mit einem Code versehen. Zu fest darf er nicht sitzen, er soll aber ein ganzes Eulenleben halten. Deshalb darf nur beringen, wer eine entsprechende Qualifikation hat. Die Arbeitsteilung ist aus diesem Grund klar umrissen und Ronald Nordmann mit seinem Part mehr als zufrieden: „Es ist schon anrührend, so einen jungen Vogel in der Hand zu halten.“

Bubo Bubo

Der Uhu - lateinisch: Bubo bubo - ist die größte Eulenart. Schon der Nachwuchs besticht durch die runden, orangegelben Augen. Beim ausgewachsenen Vogel wird die Besonderheit deutlich: Den dicken Kopf schmücken Federohren. Weibchen sind größer als die Männchen. Im Durchschnitt messen die Uhus 70 Zentimeter und haben eine Spannweite von bis zu 1,80 Meter.

Nach 34 Tagen schlüpfen in der Regel zwischen ein und drei Jungvögel. Mit etwa zehn Wochen sind sie flugfähig.

Das Verbreitungsgebiet reicht von Südwesteuropa und Nordafrika über den europäischen Kontinent bis nach Sibirien und in den Nahen Osten. Auch in Südindien und Südchina kommt der Uhu vor.