Ein unverhoffter Fund: Die Archäologen stießen auf 118 Gräber aus dem Frühmittelalter. Foto: Landesamt für Denkmalpflege Quelle: Unbekannt

Von Peter Stotz

In den vergangenen beiden Jahren haben Archäologen des Landesdenkmalamts im Gebiet der Baustelle für die Schnellbahnstrecke in Wendlingen bei Grabungen wichtige Erkenntnisse über die Siedlungsgeschichte in der Region gewonnen. Besonders der Fund eines Gräberfelds mit 118 Bestattungen aus dem sechsten und siebten Jahrhundert förderte spannende Einblicke in diese Epoche zutage. Die Grabungsleiterin Inga Kretschmer berichtete am Donnerstag über die Ausgrabung und die Bedeutung der Funde.

Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass das Gebiet der Wendlinger Gemarkung bereits zur Römerzeit besiedelt war. Bei einer Grabung im Jahr 1961 wurde dann nahe der Autobahn ein großes römisches Badegebäude freigelegt, dem ein bedeutender Gutshof zugeordnet werden konnte. Die Reste dieser villa rustica liegen noch unter dem Ackerland verborgen.

Vor Beginn der Bauarbeiten für die Schnellbahnstrecke Stuttgart-Ulm untersuchten Archäologen des Landesdenkmalamts in den vergangenen beiden Jahren das Baugebiet, um mögliche Relikte vor ihrer Zerstörung zu bewahren. Dabei entdeckten die Forscher Spuren menschlicher Besiedlung aus den vergangenen 7500 Jahren. „Damit ist es gelungen, die durchgängige Siedlungsgeschichte im Gebiet von Wendlingen und Unterboihingen von der Jungsteinzeit bis zum Mittelalter zu dokumentieren“, sagte die Leiterin der Grabungen, die Archäologin Inga Kretschmer, in einem Vortrag über die Ausgrabungen. Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel betonte, dass es nur wenige Orte in der Region gebe, in denen ein solcher Nachweis gelinge. Dennoch sei es „bemerkenswert, dass ein Vortrag über archäologische Funde mehr Besucher mobilisiert als der Neujahrsempfang der Stadt“, ergänzte er angesichts der mehr als 300 Besucher im Saal des Treffpunkts Stadtmitte.

Wie Inga Kretschmer schilderte, wurde bei den Grabungen im Jahr 2015 nachgewiesen, dass der römische Gutshof mit einer Fläche von etwa 1,3 Hektar zu den bedeutenden Höfen in der Region gehört haben muss. Bei der Untersuchung der Fundamente stellten die Archäologen fest, dass das Mauerwerk sehr schlampig ausgeführt war. Dies deute darauf hin, dass auch um das Jahr 200 Pfusch am Bau vorkam, sagte Kretschmer.

Spannend für die Archäologen wurde die Reise durch die Siedlungsgeschichte im vergangenen Jahr. Südlich der Autobahn deckten die Forscher Spuren menschlicher Besiedlung auf, die von der Jungsteinzeit über die Bronzezeit bis zu den Kelten reichen. So wurden als älteste Zeugnisse einst bis zu zwei Meter tiefe Gruben gefunden, die in der Zeit um das Jahr 5500 vor Christus mutmaßlich als Wildfallen angelegt worden waren.

Hinweise auf womöglich ungemütliche Zeiten lieferte die Entdeckung eines Systems von Gräben, das um das Jahr 1000 vor Christus datiert wurde und als Rest einer größeren Verteidigungsanlage einer Siedlung gedeutet wird. „Hier ist guter Boden, hier haben immer Menschen gesiedelt. Wir haben zwar wenige alte Spuren, aber sie ziehen sich über die Jahrtausende“, sagte Kretschmer. Zum Abschluss der Untersuchungen wurden Spuren der Häuser einer merowingischen Siedlung und große Mengen Keramik aufgedeckt. „Dabei war auch eine römische Steinplatte, die von den Alemannen recycelt und wieder verbaut wurde“, berichtete Kretschmer.

„Mitte Juni, als wir schon längst fertig waren, klingelte das Telefon“, erzählte sie weiter. Der Kampfmittelräumdienst hatte bei seiner Routineuntersuchung des Baufelds an der Autobahn zwei Schwerter gefunden. „Wir waren elektrisiert und sind sofort rausgefahren, und da hat uns eine große Überraschung erwartet.“ Bei dem Fund handelte es sich um „ein völlig unbekanntes Gräberfeld mit 118 Grabgruben aus dem Frühmittelalter“, sagte die Archäologin.

Für das Team begann die hektische Zeit einer Rettungsgrabung, bevor die Baumaschinen anrückten. „Es war ein klassischer Dorffriedhof. Kinder, Jugendliche und Erwachsene waren dabei, die meisten Skelette noch gut erhalten. Einige Gräber waren sogar echte Highlights“, erzählte Kretschmer. So wurde ein Mann mit vollständiger Bewaffnung - Lang- und Kurzschwert, Bogen und Pfeilen, Axt und Messer - begraben. Im Grab einer nach Einschätzung der Archäologen sehr wohlhabenden Frau wurden ein Collier mit mehr als 200 Glas- und Keramikperlen sowie eine feuervergoldete Gewandfibel gefunden. In vielen Gräbern lagen überdies Taschen, die alltägliche Utensilien wie Kämme, Messer, Scheren sowie Feuersteine und Schlageisen enthielten. „Da erwarten wir von der genauen Untersuchung noch viele spannende Erkenntnisse“, sagte Kretschmer.