Er ist ruhiger geworden, aber auch mit fast 75 Jahren kann Werner Schmidt nicht von der Politik lassen. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Harald Flößer

„Etwas bewegen zu können, ist doch ein gutes Gefühl.“ Ein Satz, der alles sagt über das, was Werner Schmidt antreibt, selbst mit fast 75 nicht von der Kommunalpolitik loszulassen. Der Sozialdemokrat hat die Entwicklung Ostfilderns von Anfang an mitgestaltet: vom mühevollen Zusammenwachsen der ehemals selbstständigen Gemeinden Nellingen, Ruit, Kemnat und Scharnhausen zu einer Reformstadt bis zum Aufbau des Scharnhauser Parks, der neuen Mitte Ostfilderns samt dem Anschluss an das Stadtbahnnetz der Region. 45 Jahre im Gemeinderat hat Schmidt mittlerweile auf dem Buckel, so viel wie kaum ein anderer im Land. OB Christof Bolay hat seinen Parteigenossen deshalb jüngst in höchsten Tönen gelobt. Er sei „ein Paradebeispiel für die gelebte Demokratie in den Kommunen“.

Eigentlich möchte Schmidt gar nicht so viel Aufhebens um seine Person. Denn er tue das, was schon seit jungen Jahren wie selbstverständlich zu seinem Leben gehöre: sich mit seinen Fähigkeiten und Überzeugungen einbringen ins kommunalpolitische Geschehen und so der Allgemeinheit dienen.

„Nur Angriff bringt nichts“

Die Arbeit im Kirchengemeinderat hat er 2016 nach 36 Jahren aufgegeben. Aber im Gemeinderat ist er aktiv wie eh und je. Nicht mehr so impulsiv und herausfordernd wie einst. Viele erinnern sich noch an seine bissigen Zwischenrufe in den Sitzungen. Ja, er sei gelassener geworden, räumt er ein. „Ich versuche, das alles jetzt mit mehr Humor zu machen“, sagt der SPD-Fraktionschef. „Bloß anzugreifen, bringt ja nichts.“ Es komme darauf an, über das Parteigerangel hinaus Kompromisse zu finden. Und das gelinge in Ostfildern ziemlich gut. Gerade was sich in jüngster Zeit in der Stadt getan habe, könne sich sehen lassen: der Bau der Grundschule in Ruit, die neue Gemeinschaftsschule in Nellingen, der nun begonnene Neubau des Kindergartens Waldstraße in Kemnat. Mit dem Allermeisten, was in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurde, ist Schmidt zufrieden. Aber eines ärgert ihn: Das Gewerbegebiet in Scharnhausen sei viel zu groß geraten. Man könne doch nicht gegen den Flughafenausbau wettern mit dem Argument, dass die Filderböden dafür viel zu wertvoll seien, und dann selbst ein völlig überdimensioniertes Gewerbegebiet ausweisen.

Politische Entscheidungen zu treffen, sei schwieriger geworden, resümiert Schmidt. Denn die Bürger seien mündiger geworden und pochten mehr als sonst auf Mitbestimmung. Dass dabei wie jüngst beim Streit um das Baugebiet Parksiedlung Nord-Ost oder bei der Auseinandersetzung um gerechtere Kita-Gebühren auch über das Ziel hinausgeschossen werde, dürfe Verwaltung und Gemeinderat nicht davon abhalten, bei zentralen Projekten weiter auf eine intensive Bürgerbeteiligung zu setzen. Doch klar sei: Der Gemeinderat müsse immer das große Ganze im Blick haben und dürfe sich nicht von den Interessen von ein paar Handvoll Menschen leiten lassen.

Die Familie ist ihm wichtig

Als Werner Schmidt 1971 in den Gemeinderat von Kemnat gewählt wurde, war das politische Geschäft noch viel beschaulicher und unkomplizierter. Schmidt war nach nur sechs Jahren Schuldienst bereits zum Konrektor aufgestiegen. Drei Jahre später bekam er den Posten das Schulleiters, den er bis zu seiner Pensionierung 2006 behielt. Im Schuldienst war es wie im politischen Geschäft: Schmidt erledigte seine Aufgaben mit Hingabe. Noch heute kann er nicht Nein sagen, wenn in seiner Schule eine Krankheitsvertretung gesucht wird. Erst vor Weihnachten habe er vier Stunden Deutsch und Mathe gegeben, berichtet der 74-Jährige. Dann zeigt er mit leuchtenden Augen einen Zettel, den ihm fünf Mädchen mitgegeben haben: „Sie sind der beste Lehrer der Welt.“ Solche Kleinigkeiten lassen sein Herz aufgehen. Denn Schmidt ist ein Menschenfreund und er ist ein Familienmensch. Ihm und seiner Frau Heidi liegt viel daran, möglichst viel Zeit mit den vier Enkeln zu verbringen. Ebenso wenig möchte Schmidt seinen Garten in Riedenberg missen. Gewöhnlich radelt er dorthin. Wie er überhaupt so viel wie möglich mit dem Fahrrad unterwegs ist. Auch zu den Jubilaren, denen er im Auftrag der Stadt gratuliert. Diese Besuche macht er ausgesprochen gerne. „Weil man da so viel von früher erfährt.“ Und natürlich, weil es da menschelt.