Birgit Förster, Miriam Pfletschinger, Dankward Siebold, Claudia Zährl (von links) betrachten die Bilder, die Schüler aus Rotifunk gemalt haben. Foto: Rapp-Hirrlinger Quelle: Unbekannt

Von Peter Dietrich

Der volle Parkplatz und die Kennzeichen aus vielen Landkreisen ließen keinen Zweifel zu: Der jährliche Briefmarken-Großtauschtag des Vereins der Briefmarkenfreunde Nürtingen/Neckar ist von überregionaler Bedeutung. Etwa 700 Besucher hat der Verein gestern in der Beutwanghalle in Neckarhausen gezählt. Sie kamen nicht nur der Briefmarken wegen.

„Das war für uns das Tor zur Welt“, sagte Gerhard Augsten, Pressewart des rührigen Vereins, über das Briefmarkensammeln in seiner Jugend. Zu diesem Hobby, ergänzte ein anderer Sammler, gehöre immer ein guter Atlas, geografisch und politisch. Für manche war das Sammeln früher auch das Tor zum anderen Geschlecht: „Darf ich dir meine Briefmarkensammlung zeigen?“

„Das funktioniert heute nicht mehr, das weiß ich aus eigener Erfahrung“, sagte ein junger Sammler, der diese Strategie getestet hat. Nur etwa jeder vierte Briefmarkenverein im Ländle hat noch eine Jugendgruppe, die Nürtinger Briefmarkenfreunde gehören dazu. Ein Junge ist bei der Freiwilligen Feuerwehr und interessiert sich gleichzeitig für Feuerwehrmarken, ein Mädchen hat ein Pferd und sammelt auch gleich die Briefmarken dazu. Briefmarkensammeln lasse sich mit vielen anderen Hobbys und Interessensgebieten kombinieren, sagte Augsten. Einer sammelt Olympiamarken, ein anderer Blumen oder Autos. Wie wäre es mit Flugzeugen oder den Päpsten? Die Ausstellung im Foyer zeigte ein sehr breites Spektrum an weiteren Spezialgebieten, von den Zeitungspaketmarken der Stuttgarter Straßenbahnen AG bis zur Polnischen Schiffspost.

Und Briefmarken waren nicht alles. In der Halle studierten, tauschten und kauften Sammler ganze Briefe, Belege genannt, dazu Ansichtskarten und Münzen und sogar Autogrammkarten. Fußballer seien tendenziell teurer als Filmstars, erzählte Volker Stander, der in Bietigheim-Bissingen ein Antiquariat betreibt und den Nürtinger Großtauschtag „für eine der besten Veranstaltungen in der Region“ hält.

Helmut Kohl war bei ihm schon für fünf Euro zu haben, Helmut Schmidt dagegen erst für 15 Euro - bei ihm war aber auch seine Frau Loki mit Originalunterschrift dabei. Apropos Frauen: Sie waren beim Großtauschtag in der Minderheit, aber durchaus vertreten. In der Hallenmitte hatten private Sammler Tische gemietet, außenherum hatten sich die Händler gruppiert.

Wer Informationen zu seinen mitgebrachten Briefmarken wollte, der bekam sie am Stand des mobilen Beratungsdienstes. Experten wie Hans-Joachim Wirth aus Reutlingen macht keiner etwas vor, er sammelt schon seit fast 70 Jahren. Gleich am Morgen wurden den drei Experten 50 Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg vorgelegt, Fiskalmarken aus Österreich und Firmenlochungen. Damit hatten früher Firmen ihre Briefmarken gekennzeichnet, um deren Diebstahl und privaten Gebrauch zu verhindern.

Kunstvolle Fälschungen

Gauner gibt es auch bei Briefmarken. Sei eine dunkelrote Briefmarke in hellrot ein Vielfaches wert, wolle mancher vielleicht mit etwas Lauge nachhelfen, sagte Augsten. Beim Beratungsdienst war zu sehen, wie man Betrügern auf die Schliche kommt. Das UV-Licht zeigte, dass in den Briefmarken der angeblichen Zeppelinpost aus dem Jahr 1933 Weißmacher enthalten sind, die es erst ab 1956 gab. Diese Post ist also keine 600 bis 1000 Euro wert, sondern eine kunstvolle Fälschung.

Wer in vergangenen Jahrzehnten per Neuheitenabonnement deutsche Briefmarken sammelte, könnte über deren Wertentwicklung bitter enttäuscht sein - nicht nur deshalb, weil die Katalogpreise oft völlig überzogen sind. Die Auflagen sind einfach zu groß, und viele Erben bringen Sammlungen auf den Markt. Dafür sind aktuell chinesische Briefmarken sehr gefragt, trotz deren teils zweifelhafter Druckqualität. Denn die Chinesen haben das Sammeln entdeckt, finden im eigenen Land nicht genug und kaufen den Weltmarkt leer. „Ankauf China“ warb ein Plakat an einem Händlerstand. Das Tor zur Welt wird nun in anderer Richtung durchfahren.