Tanzen, Singen, Anziehen, Frisieren: Schon bevor sie auf der Bühne stehen, haben Sebastian und Larissa eineinhalb Stunden Programm. Quelle: Unbekannt

„Aufgeregt bin ich fast immer. Aber wenn ich richtig lange spiele, gibt sich das irgendwann.“

Von Greta Gramberg

Zum Abschied stellt Michael Banks dem aus dem Haus flüchtenden Kindermädchen ein Bein. Es ist die erste Szene in „Mary Poppins“ an diesem Abend, in der sich Sebastian Krech als wahrer Lausbub gibt, der mit seiner Musicalschwester Jane schon etliche Gouvernanten vergrault hat. Im realen Leben ist der Neunjährige aus Aichwald aber nicht so, wie er eineinhalb Stunden vor Showbeginn noch beteuert. Sebastian sitzt gerade wie die anderen Darsteller in der Theaterkantine, vor sich einen halb aufgegessenen Teller Pommes frites mit Ketchup. „Normalerweise bin ich wirklich brav und räume den Tisch ab“, sagt er, während seine Mutter neben ihm zustimmend nickt.

„In die Rolle reinzukommen als böser Junge ist schwierig“, erzählt Sebastian, der an diesem Abend seine zwölfte Vorstellung gibt. Doch schließlich sei es ihm durch das Training gelungen. Gegen 18 Uhr gehen er und seine Schauspielpartnerin Larissa Felber (Jane) aus der Kantine in einen kahlen Raum mit schwarzem glatten Boden und Klavier. Dort schaut Tanztrainerin Tressa Schreiber mit den Kindern, was noch zu verbessern ist. Hier müssen die Bewegungen schneller, dort die Arme höher geworfen werden. „Der Sprung soll Rotzigkeit zeigen“, sagt Schreiber zu den Darstellern. Dann kommt der musikalische Trainer Bernd Steixner, der an diesem Abend auch das Orchester dirigiert, in den Raum. Am Klavier gehen die drei einzelne Songs durch. „Volle Kraft voraus, statt halber Kraft“, fordert der Lehrer.

Die Erwachsenen sind streng, aber freundlich zu den Kindern, die die Kritik mit Eifer umzusetzen versuchen. Schließlich machen sie das nicht zum ersten Mal. Sebastian hat schon zuvor eine Rolle auf der Bühne des Möhringer SI-Centrums gespielt. Ein halbes Jahr lang war er im Musical „Tarzan“ die jüngere Titelfigur, bevor die Proben für „Mary Poppins“ begannen. Singen und Schauspielen sei weniger ein Problem für ihn, nur das Tanzen falle ein bisschen schwer, erzählt Sebastian. Auf die Idee gekommen, mitzumachen, ist der Aichschießer Grundschüler schon im Alter von fünf Jahren. Damals spielte sein älterer Bruder Lars das Dschungelkind im Stage Apollo Theater. „Ich wollte das auch machen, weil ich ein bisschen neidisch war“, gibt er zu. „Er hat aber ein Jahr warten müssen“, ergänzt Mutter Gina Krech, die erst sichergehen wollte, dass Sebastian das wirklich machen wollte und alt genug war.

Schließlich begannen die Proben auch für Sebastian, während sein Bruder Lars Shows gab. „Es ist schon heftig, wenn der eine spielt und der andere trainiert“, erzählt Gina Krech, die mittlerweile daran gewöhnt ist, die diversen Freizeitaktivitäten ihrer insgesamt drei Söhne zu managen. Sebastian hat Trompeten-Unterricht, ist im Jugendorchester des Musikvereins Aichschieß und will mit dem Klavierspiel beginnen. Auch in der Schule ist er gut. Zeit für Freunde habe er trotzdem. Schließlich darf er aufgrund des Jugendschutzes maximal 30 Vorstellungen im Jahr auf der Bühne stehen und wechselt sich mit anderen Jungen ab. Da auch die Proben mittlerweile nur noch einmal pro Woche sind, ist wieder mehr Zeit für anderes. An diesem Tag nach dem Jahreswechsel sind noch Weihnachtsferien und Sebastian war vor der Fahrt nach Möhringen auf der Schlittenwiese.

Mittlerweile beneidet übrigens eher Lars seinen jüngeren Bruder, weil der 13-Jährige nun zu groß für die Kinderrollen der Musicals ist. Ob Sebastian inzwischen Starallüren habe? „Nein, überhaupt nicht“, sagt Co-Star Larissa. Dass die beiden trotz der vielen Aufmerksamkeit einfach Kinder sind, zeigt sich hinter der Bühne. Nach dem kurzen Training geht es ins gemütliche Kinderzimmer zu den Kostümen. Zwischen bunt dekorierten Wänden, Brettspielen und Zahnputzbechern für jeden der Kinderdarsteller quatschen Larissa und Sebastian lieber, statt sich schnell anzuziehen.

Trotz seines Engagements ist sich der Neunjährige bei der späteren Berufswahl noch unsicher. „Trompeter habe ich mir mal überlegt“, sagt Sebastian. „Sonst einfach normal arbeiten“, ist eine andere Option. Was er damit meine? Wenn er seine Mutter im Büro besuche, schreddere er oft Papier, das mache Spaß, erzählt der Neunjährige. Die Betreuer treiben die Jungdarsteller schließlich zur Eile an. Die zwei huschen über den Flur in die Maske. Sie bekommen kein Make-up, werden aber frisiert. Bei Sebastian wird nur das Mikro, das vom Nacken über den Kopf geführt wird, unter den Haaren versteckt.

Schließlich ist zurück im Kinderzimmer noch ein wenig Zeit bis zum Auftritt. Die beiden Jungstars setzen sich auf das Sofa und Sebastian knabbert Nüsse. Zwischendurch kommt eine Frau vorbei und lässt die beiden ihre Morgenmäntel für spätere Szenen anprobieren: Die Kinder würden so schnell rauswachsen, erklärt sie. Um 19.30 Uhr beginnt dann die Vorstellung. „Aufgeregt bin ich fast immer“, hat der Neunjährige vorher noch verraten. Auf der Bühne klappt dann aber alles wie geprobt.