Von Bernd Köble

Nur das Schild neben der Tür verrät, dass hier der Chef residiert. Drinnen im Raum herrscht gähnende Leere. Kein Tisch, kein Stuhl, kein Bild an der Wand. „Ärzte sollen bei Patienten sein und nicht im Büro“, flachst Norbert Nadler. Der hoch aufgeschossene Leiter der Medius-Kliniken in Kirchheim und Nürtingen hat nicht nur dank seiner Größe den Überblick. Seit drei Monaten bereiten er und sein Team sich auf diesen Tag vor. Dass Zeit für Scherze bleibt, zeigt, dass es geordnet zugeht. Er weiß, welcher Handgriff heute wo erfolgt. Deshalb schrecken ihn die nackten Wände im Büro von Psychiatrie-Chefarzt Christian Jacob auch wenig. Die Büros sind als Letztes dran. Heute geht es um die Patienten.

Nach der Einweihung des 18 Millionen Euro teuren Psychiatrie-Neubaus in Kirchheim vor knapp fünf Wochen beginnt nun der Alltag in der Klinik. Seit 7.45 Uhr in der Früh sind die Physiotherapeuten am Werk, in den Therapieräumen wird den Tag über gemalt und musiziert. Am Tag davor sah das noch ganz anders aus: 30 Helfer, mehr als 70 Lastwagenfahrten und 1600 Kisten waren nötig, damit der Umzug von der alten Psychiatrie am Nürtinger Neckarufer reibungslos über die Bühne gegangen ist. Dazu kommen Berge von Patientenakten, die aus Datenschutzgründen in verschlossenen Rollcontainern transportiert werden müssen. Etwa ein Drittel des Mobiliars im neuen Haus stammt aus Nürtingen, dazu gehören 124 Betten, die erst vor wenigen Jahren angeschafft wurden.

Um 10 Uhr hatten die ersten der 109 Patienten einen der Busse in Nürtingen bestiegen. Eine knappe Stunde später waren bereits zwei der sechs neuen Stationen in Kirchheim belegt. Am frühen Nachmittag, nachdem die erste Mittagsmahlzeit eingenommen war, hieß es: Alle sind da.

Aufatmen auch bei Klinikleiter Nadler. Der 53-Jährige hat Erfahrung mit Tagen wie diesen. Im Herbst 2011 wechselte die somatische Abteilung von Nürtingen nach Kirchheim, im November 2014 folgte der Einzug der Psychiatrie aus Plochingen. Diesmal war der Zeitdruck groß. Noch am Sonntag strömten am Tag der offenen Tür Besucher durch die neuen Räume. Danach musste alles ganz schnell gehen. Reinigungskräfte, Hausmeister und Techniker arbeiteten unter Hochdruck, um den Terminplan nicht zu gefährden. Es ist der finale Akt bei der Neuausrichtung der klinischen Versorgung im Kreis Esslingen, die Kirchheim mit insgesamt 435 Betten zum größten von drei Häusern macht - und damit auch erste Probleme schafft: Parkplatznot. Für das Krankenhaus mit angegliederten Arztpraxen, Notfall-Ambulanz und Weiterbildungs-Akademie reichen 490 Stellplätze bei Weitem nicht aus.

Durch den Umzug sind 230 neue Mitarbeiter aus Nürtingen hinzugekommen. Den Bedarf an Stellplätzen schätzt die Klinikverwaltung auf 800. Auf dem Nachbargrundstück soll ein Parkhaus entstehen, doch das steckt noch in der Planungsphase, nachdem Gemeinderat und Anwohner uneins sind über die Höhe des Bauwerks. Landrat Heinz Eininger konnte sich bei der Einweihung des Psychiatrie-Neubaus im Januar deshalb einen Seitenhieb in Richtung Kirchheims Baubürgermeister Günter Riemer nicht verkneifen: „Wir hätten das Parkhaus heute sehr gerne mit eingeweiht.“

Psychiatrie in Nürtingen dem Abriss geweiht

Nach dem Umzug in den Neubau nach Kirchheim sind die Tage der alten Psychiatrie am Nürtinger Neckarufer gezählt. Der Landkreis hat das Areal bereits zum Jahresende 2015 an die BPD Immobilienentwicklung, einen Stuttgarter Investor, verkauft. Der will auf dem Areal ein Wohnbauprojekt verwirklichen.

Damit endet ein Teil Geschichte in Nürtingen. Das alte Kreiskrankenhaus an der Stuttgarter Straße geht zurück auf ein städtisches Siechenhaus, das zu Beginn des 14. Jahrhunderts errichtet worden sein soll. Hier wurden Bewohner der Stadt und des Amts Nürtingen gepflegt, die an Pest, Pocken oder Aussatz erkrankt waren.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde aus dem Gebäude ein städtisches Hospital, das 1931 über zehn Krankenzimmer mit vierzig Betten verfügte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte das Haus abgebrochen und ein Altenheim errichtet werden. Die Stadt entschloss sich jedoch, das Hospital zu modernisieren. Seit 1950 war es schließlich Eigentum des Landkreises.

Weil das alte Krankenhaus wegen seiner Lage in der Entwicklung eingeschränkt war, beschloss der Kreistag im Juni 1965 einen Neubau auf dem Säer. Im September 1970 war Baubeginn. Inzwischen steht an dieser Stelle bereits die nächste Generation: 2010 wurde die neue Klinik auf dem Säer eingeweiht.