Menschen und Tiere scheinen gleichermaßen neugierig aufeinander zu sein. Die Mufflons halten aber vorsichtig Distanz. Fotos: SDMG/Friebe Quelle: Unbekannt

Von Roland Kurz und Maria Krell

Das Wernauer Rathaus ist in Narenhand. Geesgassdeifel, Laichleshexen, Brotlaible und Bauern holten Schultes Armin Elbl von seinem Thron herunter. Weder das von Jack Sparrow ausgeliehene Piratenkostüm noch dessen Säbel konnten die Machtübernahme verhindern. Bis Aschermittwoch hätten die Narren nun Zeit, Gebühren und Steuern wieder zu senken. Allein, sie werden mit Narrengericht, großem Festumzug und Fasnetbällen so beschäftigt sein, dass das geschmähte, „machtbesessene Estäblischment“ am Ende wieder gerade so weiter machen können wie bisher.

Am morgen vor dem Rathaussturm hatten die Narren schon schwere Aufgaben zu erledigen. Alle Schulen mussten befreit werden. Ein Heidengeschäft, bis die Lehrer ans Seil gelegt und vors Quadrium gezogen werden konnten, erzählte Ehrenzunftmeisterin Rita Zink. Umso freudiger waren die Schüler dabei. Zum Auftakt des Spektakels am Quadrium zeigten sie ihre Tänze auf der Showbühne. Am Ende tanzten die Lehrer selbst zu Abba-Klängen. Den ersten Preis sahnten die Realschüler ab, weil sie alles ohne Lehrerhilfe einstudiert hatten.

Mit besonderer Spannung wurde das Aufstellen des Narrenbaums erwartet. Nicht nur, weil ein böiger Wind die Arbeit der 20 Geesgassdeifel erschwerte, sondern weil jeder noch an den Unfall im Vorjahr dachte, als ein 26-jähriger Narr schwer verletzt wurde, weil der Baum abrutschte. Dieses Mal ließ man besondere Vorsicht walten. Ein Lkw mit Seilwinde sicherte den 22 Meter hohen Baum ab.

Schluss mit Armin first

Die Zugkraft und auch die Verankerung am Boden hatte ein Statiker berechnet, erzählte Koordinator Mark Brenner. Die Muskelkraft der Teufel blieb dennoch gefragt, um mit den „Schwalben“ den Stamm aufzurichten. Selbst diese Metallstangen hatten die Narren mit rutschhemmenden Dornen optimiert. „Haaau-Ruck!“ Zunftmeister Marcel Reith und Rita Zink feuerten die Mannen lautstark an und so hob sich der Narrenbaum planmäßig hoch. Als der Baum in sein Loch plumpste, fielen zwei Salutschüsse - das Signal zum Sturm aufs Rathaus.

„Schnappt den Bürgerking!“ Der Till alias Siggi Großmann peitschte das Narrenvolk auf: „Holt den Schultes vom Thron - so wird’s gmacht und so muaß sei - Hecka-Heala, hoi, hoi, hoi!“ Ohne ein heftiges Wortgefecht ließ sich der nicht stürzen: „Oh Narr, du irrst - Armin first!“ Der Till schlug darauf dem Schultes und seiner Verwaltung die Steuererhöhungen um die Ohren: „Begräbniskosten, Wasserzens, treiben den Bürger in die Insolvenz“. Am Ende kapitulierte der Bürgermeister: „I leg mei Amt drei Tag auf Eis, machet selber euren Scheiß.“

Auf der Feuerwehrleiter kraxelten Hexen und Teufel nach oben, legten dem Schultes die Schandgeige um den Hals und zerrten ihn auf die Bühne. Mit gut 80 Kilo Schokolade wurde der Entmachtete aufgewogen, um schließlich von seinem Schleudersitz noch eine letzte Wohltat unters Volk zu bringen: Süßes im Quadrat.

Gutes hat auch Schultes Ingo Hacker unters Volk gebracht: Nämlich in Form einer Torte. Doch vorher mussten auch die Neuhäuser Narren erst noch die Macht im Rathaus an sich reißen.

Auf dem großen, von Scheinwerfern erhellten Platz vor dem Rathaus weht an diesem Abend ein starker Wind, die Zuschauer blicken erwartungsvoll zum Rathaus, Spannung wie vor einem Gewitter liegt in der Luft. Und dann kommen sie, die 15 Maskengruppen des Narrenbundes Neuhausen und marschieren über den umringten Platz zum Rathaus. Als das Publikum die Gruppe der Hexen sieht, wird tosender Jubel laut. Die letzte Stunde des Bürgermeisters hat geschlagen: Die Narren sind gekommen, um bis Aschermittwoch die Macht zu übernehmen. „Kaum zu glauben aber wahr, erneut ein Jubiläumsjahr. Doch heuer, das tu‘ ich euch kund, ist es nicht der Narrenbund“, verkündet Narrenbund-Präsident Ronald Witt dem Publikum. Denn der Jubilar ist Bürgermeister Ingo Hacke, für den auch im 22. Jahr nicht Schluss sei. „Der ist der reinste Bumerang, kommt stets zurück wie unter Zwang“ ruft der Narren-Chef.

„Mein Resümee von hier oben: Ich kann und muss euch Narren loben“, kontert der Schultes. Denn was er jedes Jahr „erblicken tut, erfreut mein Herz, erhitzt mein Blut.“ Es gebe nichts Schöneres im Leben, als die Neuhäuser Fasnet zu erleben. Und um sich dafür zu bedanken, hat Ingo Hacker nicht nur Worte für die Narren. Er spendiert sogar eine Jubiläumstorte. Das lassen sich die Narren und ihr Präsident nicht zwei mal sagen: „Ich glaub mich trifft sogleich der Blitz. Das glaub ich nicht, das ist ein Witz“, verkündet Ronald Witt. Und bevor der Jubilar es sich anders überlegen kann, ruft der Narrenchef: „Hexen und Rotenhäne, hinauf in einem forte. Holt mir den Schultes, mitsamt Jubiläumstorte!“

Gesagt, getan. Schon stürmen Rotenhäne und Hexen über die Leiter zum Rathausfenster hinauf, um das Versprechen des Schultes einzufordern. Unter Gejubel und neugierigen Blicken wird der Bürgermeister, flankiert von je einer Hexe und einem Rotenhan auf den vom Feuerschein erhellten Platz geführt, den Stadtschlüssel in der Hand. Als Ronald Witt den Schlüssel überreicht bekommt, reckt er ihn in die Höhe und schreit „Wir haben ihn!“

Unterdessen tragen einige Narren eine mehrstöckige Torte auf den Platz, die der Bürgermeister unter dem närrischen Volk verteilt. Der Narrenchef schreit laut „auf die Pauke haut‘se“ - das aufgepeitschte Publikum antwortet mit lautem Gebrüll: „Bautse, Bautse!“

Spektakulärer Hexentanz

Nach der Machtübernahme durch die Narren beginnt der spektakuläre Hexentanz. Ein weißer „Krankenwagen“ fährt mit lautem Sirenengeheul über den Schlossplatz. Zwei Hexen sitzen am Steuer und auf dem Beifahrersitz. Aus dem Wagen steigen scheinbar gebrechliche Hexen, die erst unsicheren Schrittes um das Feuer schleichen. Sie werden bald agiler, tanzen um die Flammen, schlagen mit ihren Besen in das Feuer, bis die Besen qualmen und leuchtende Glut durch den Nachthimmel schwirrt. Die Mitglieder der wilder werdenden Maskengruppe springen schließlich abwechselnd in das Feuer und hüpfen in den Flammen umher.