Michael Stocks leitet das ARD-Studio in Rio de Janeiro. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Ob Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, Zika-Virus oder Regierungskrise - die Beiträge der ARD stammen meist von Michael Stocks, der seit gut vier Jahren das Studio in Rio de Janeiro leitet. Aufgewachsen ist der Südamerika-Korrespondent in Plochingen, dort wohnt auch seine Mutter noch. Kurz vor dem Start der Olympischen Spiele hat er alle Hände voll zu tun, um seine Sportkollegen zu unterstützen. Während der Spiele ergänzt sein Team die Sport-Berichterstattung.

Was hat Sie von Plochingen über Baden-Baden nach Brasilien geführt?

Stocks: Lateinamerika war für mich schon früh ein Traumziel. Bereits während der Schulzeit war ich in Mittelamerika. Dann habe ich in Karlsruhe studiert, habe dort meine Frau kennengelernt und bin beim SWR in Baden-Baden gelandet. Ich habe viel im Sport gemacht, mich für Auslandseinsätze gemeldet, war ab und zu im Mexiko-Büro der ARD. Ich habe einige Reportagen in Rio gemacht, und da entwickelte sich meine Leidenschaft und Liebe für diese Region. Und nun bin ich seit Anfang 2012 im ARD-Studio in Rio de Janeiro.

Brasilien steckt derzeit in einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Wie stark leiden die Menschen unter der wirtschaftlichen Lage?

Stocks: Bis vor drei, vier Jahren hatte das Land ja Wachstumsraten bis in den zweistelligen Bereich. Die sind weggebrochen. Alles, was mit Öl und anderen Rohstoffen zu tun hat, läuft schlecht. Das spüren etliche Firmen, sie bauen Personal ab. Das heißt, die Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Die Inflation ist hoch, momentan wenigstens wieder knapp unter zehn Prozent. Das spürt man beim Einkauf. Es tut vor allem den Menschen weh, die eh wenig haben. Und Olympia verstärkt dies, weil manche daraus Kapital schlagen wollen und die Preise anheben. Insgesamt ist die Stimmung schlecht, es zeichnen sich wenig gute Perspektiven ab.

Die Bewohner der Favelas sind schon arm, geht es denen noch schlechter?

Stocks: Viele arbeiten im Hotelbereich oder sind als Putzfrauen in Haushalten tätig. Durch die Wirtschaftskrise verlieren sie ihre Arbeit. Das Einkommen fehlt, und alles wird teurer.

Freuen sich die Brasilianer überhaupt noch auf die Olympischen Spiele oder sind sie überwiegend Grund zum Ärgern?

Stocks: Eine gute Woche vor dem Beginn haben die meisten Brasilianer mit Olympia noch nicht viel am Hut. Wenn man mit ihnen spricht, vor allem mit Ärmeren, sind die Spiele eher ein Ärgernis - in einem Land in der Krise, wo das Gesundheitssystem nicht funktioniert und es an allen Ecken fehlt. Letztlich zahlt die Bevölkerung die Spiele. Speziell in Rio schimpft man, weil die Kassen leer sind und ohne Hilfe der Regierung nichts mehr laufen würde. Letzte Woche wurde eine Umfrage veröffentlicht: Mehr als 50 Prozent der Brasilianer lehnen die Spiele ab, nur 13 Prozent finden sie gut. Diese negative Stimmung kann aber bei den Brasilianern, die sehr emotional sind, im letzten Moment umschlagen.

Kürzlich ist Regierungschefin Dilma Rousseff zum Abgang gezwungen worden. Wie beurteilen Sie den Vorgang? Wer hat das gesteuert?

Stocks: Das ist ein Machtkampf der konservativen Elite gegen die Arbeiterpartei PT, die ihr schon zu lange an der Macht ist. Da wird mit allen Mitteln gekämpft, auch die Medien spielen eine große Rolle, etwa der TV-Riese Globo. Tatsache ist, dass bis heute Rousseff persönlich keine Korruption nachgewiesen wurde. Natürlich ist jede Partei von Korruption betroffen. Von der Interimsregierung von Michel Temer sind schon wieder drei Minister wegen entsprechender Vorwürfe gegangen. Ein Polit-Thriller hoch drei.

Ein Thema hat Brasilien ebenso wie Deutschland: Das Land hat Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Hat das zu Diskussionen geführt?

Stocks: Von Diskussionen in der Bevölkerung ist mir nichts bekannt. Es sind aber auch sehr wenige Flüchtlinge gewesen. Brasilien hat einigen Syrern die Einreise erleichtert, aber dann hört die Unterstützung auch schon auf. Als Land in der Krise ist es zudem nicht sehr interessant für Flüchtlinge.

Die Bilder von Kindern, die durch das Zika-Virus erkrankten, haben auch uns hier erschüttert. Wie gehen Sie damit um?

Stocks: Das Virus ist vor allem im Norden Brasiliens verbreitet, die Fälle von Mikrozephalie, also die missgebildeten Köpfe von Babys sind überwiegend dort beobachtet worden. Hier in Rio ist das Virus eher in Randbereichen aufgetreten. Wissenschaftler sagen, die Epidemie habe ihren Höhepunkt überschritten, aber wir sind jetzt im Winterhalbjahr und die Moskitos nicht so aktiv. Wenn ich in stärker betroffenen Regionen unterwegs bin, sprühe ich mich gut ein und trage die richtige Kleidung. Aber natürlich wird man immer mal wieder gestochen, das ist eben in einem tropischen Land so.

Von den Umweltproblemen des Landes sind auch die Olympischen Spiele betroffen. Sie haben über die dreckige Bucht von Rio berichtet, wo der Segel-Wettbewerb gefährdet schien. Wie sieht es jetzt dort aus?

Stocks: Der Segelwettbewerb in der Guanabara-Bucht wird stattfinden. Die Verschmutzung ist seit vielen Jahren bekannt. 80 Prozent der Abwässer sind ungeklärt, täglich werden 90 Tonnen Müll in die Bucht eingeleitet. Es wurde versprochen, vor Olympia für bessere Zustände zu sorgen, aber die Verantwortlichen haben nun zugegeben, dass sie ihre Ziele nicht erreicht haben. Man hat versucht, Müll-Barrieren an den 35 Zuflüssen zur Bucht zu bilden - aber das löst nicht das Grundproblem. Segler haben mir berichtet, dass die Strömung derzeit hilft, das Regatta-Revier etwas sauberer zu halten.

Inwieweit sind Sie als Korrespondent in die Olympia-Berichterstattung eingebunden?

Stocks: Ich berichte nicht über die Sportereignisse selbst, sondern über das Drumherum. Unser Studio unterstützt die Sportkollegen, und wir bestreiten das Morgen- und das Mittagsmagazin. Wir hoffen alle, dass es friedliche Spiele werden und wir die Berichterstattung nicht auf andere Themen lenken müssen.

Rio gilt als gefährliches Pflaster. Was empfehlen Sie Besuchern, die zu den Spielen kommen?

Stocks: Man muss sich an die Umgebung anpassen. Die Armbanduhr lässt man zuhause, man zeigt keinen Schmuck am Körper. Man sollte die Augen offen halten und wenn man eine Gang sieht, wechselt man die Straßenseite oder geht in einen Laden hinein. Die Kriminalität hat in den vergangenen Monaten aufgrund der Wirtschaftskrise zugenommen.

Sind Sie schon überfallen worden?

Stocks: Ja, ist aber schon ein paar Jahre her. Auch meiner Frau wurde mal was geklaut. Ein Freund, der auf Besuch war, ist auf dem Weg in die Stadt umringt worden, dann wurde ihm die Halskette abgerissen - er hat noch Glück gehabt. Auch einige Athleten, die schon da sind, haben bereits Erfahrungen mit der Kriminalität gemacht.

Sie sind für ein riesiges Land, sogar für den Kontinent zuständig. Wie schaffen Sie es, aktuelle Tendenzen zu erkennen und die richtigen Gesprächspartner zu finden?

Stocks: Wir schaffen das als Team im Studio, wir checken die Nachrichtenlage, pflegen Kontakte. Und wir haben in allen südamerikanischen Ländern einheimische Journalisten, die uns zuarbeiten.

Sie bieten den Videoblog „Tudo Bem“ an. Welchen Zweck verfolgen Sie damit? Können die ARD-Magazine ihren Mitteilungsdrang aus Brasilien nicht abdecken?

Stocks: Es ist als Ergänzung gedacht. Ich kann damit die vielen Seiten Brasiliens präsentieren, die man nicht so einfach im Programm unterbringt. Die aktuellen Themen in Europa - Brexit und Terror - lassen uns spüren, dass Brasilien weit weg ist. Der Videoblog ist ein Weg, um das Geschehen hier den Menschen in Deutschland ins Bewusstsein zu hieven.

Sie sind 10 000 Kilometer von zuhause weg. Freunde und Familie zu treffen, ist schwierig. Wie kommen Sie damit klar?

Stocks: Die Freunde aus Baden-Baden spontan zu treffen, das geht nicht. Die Kinder besuchen uns ab und zu, sie sind auch während der Olympischen Spiele da. Wir müssen unseren Urlaub immer gut durchorganisieren, um möglichst viele Freunde zu treffen. Dennoch: Ich habe hier meinen Traumjob gefunden. Er fordert viel, gibt aber auch eine Menge. Die Vielseitigkeit der Natur und das Leben der Menschen hier abzubilden, das macht unglaublich viel Spaß.

Das Interview führte Roland Kurz

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